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Engstinger Sportler rufen die Initiative »Helfen statt trainieren« ins Leben

Dennis Bordt und Initiator Peter Staneker mit ihrem ausgearbeiteten Schlachtplan. FOTO: LEIPPERT
Dennis Bordt und Initiator Peter Staneker mit ihrem ausgearbeiteten Schlachtplan. FOTO: LEIPPERT
Dennis Bordt und Initiator Peter Staneker mit ihrem ausgearbeiteten Schlachtplan. FOTO: LEIPPERT

ENGSTINGEN. Beim Turnverein Großengstingen ist die Stopp-Taste gedrückt. Der Trainings- und Spielbetrieb ist eingestellt. Doch die Sportler legen nicht untätig die Hände in den Schoß. Sie sind aktiv – und unterstützen mit einer Hilfsaktion andere Menschen.

Zwei bis drei Mal in der Woche und mehrere Stunden Training ist für aktive Sportler normal, denn sie agieren oftmals nicht nur in Freizeitligen, sondern sogar auf Kreis- oder Bezirksebene und noch höheren Spielklassen. Vor wenigen Tagen dann der jähe Stopp für alle Athleten. Das Coronavirus ist in Deutschland und in der Region mit aller Wucht angekommen.

Auch in der Albgemeinde haben sich schon Menschen in Quarantäne begeben müssen, anderen ist die Bewegungsfreiheit eingeschränkt worden, weil sie alters- oder krankheitsbedingt zum gefährdeten Personenkreis gehören und soziale Kontakte so weit wie möglich vermeiden sollen. Turnhallen, Sportplätze und sonstige öffentliche Einrichtungen sind geschlossen. Training ist nicht mehr möglich, sämtliche Wettbewerbe sind abgesagt.

»Warum sollen wir uns jetzt nicht für sie einsetzen und ihnen etwas zurückgeben?«

Von Tempo hundert zurück auf null, von heute auf morgen. Ein Super-Gau für alle aktiven Sportler? Nicht unbedingt. Peter Staneker, Handball-Abteilungsleiter beim Turnverein Großengstingen (TVG), resignierte nicht und lamentierte nicht lange über den Trainingsausfall. Über Nacht kam ihm eine Idee: »Hier im Ort gibt es bestimmt viele Menschen, die jetzt Hilfe benötigen, etwa beim Einkauf.« Sportler, die nicht zur sogenannten Risikogruppe zählen, könnten diesen Bürgern in der trainingsfreien Zeit mit Sicherheit helfen. Und außerdem: »Gerade auch die älteren Leute waren in den letzten Jahren sehr stark als unsere Fans für uns da und haben uns immer unterstützt. Warum sollen wir uns jetzt nicht für sie einsetzen und ihnen etwas zurückgeben?«

Gedacht, getan. Der beruflich als Projektleiter tätige Engstinger fackelte nicht lange, hängte sich ans Telefon und nahm Kontakt mit den Vereins-Ausschussmitgliedern auf. Deren Zustimmung war einhellig, alle sind von dem Einfall mehr als begeistert, die Initiative »Helfen statt trainieren« war geboren.

Sofort machten sich die jungen Leute an die Ausarbeitung eines strukturierten Ablaufplans und gaben die Aktion gleichzeitig auch den anderen Vereinsmitgliedern bekannt. Prompt meldeten sich weitere Helfer. Gemeinsam erarbeitete die Gruppe ein Handlungsschema, auch wurde mittels einer SIM-Karte, die normalerweise in der Turnhalle als Router für das Internet dient, eine Telefonnummer für den Bestell-Service eingerichtet oder ein digitales Bestell-Formular auf der Homepage hinterlegt.

Wichtige Fragen in Sachen Hygiene oder dem Datenschutz zukünftiger Besteller wurden intensiv durchgesprochen. »Schließlich sollen die Nutzer anonym bleiben, auch wollen wir durch unseren Bringdienst weder deren noch die Gesundheit der Helfer gefährden«, meint Staneker. Weshalb die Zusteller auch die Wohnung des Bestellers nicht betreten dürfen, Kosten für den Einkauf legen die Helfer zuerst aus, sie werden anhand der Quittung geltend gemacht und je nach Fall ohne direkten Kontakt zwischen den Parteien dann beglichen.

Wer in Engstingen Hilfe zum Beispiel beim Einkaufen benötigt, kann sich an die Sportler des TVG wenden. Sie unterstützen Mensche
Wer in Engstingen Hilfe zum Beispiel beim Einkaufen benötigt, kann sich an die Sportler des TVG wenden. Sie unterstützen Menschen mit der Aktion »Helfen statt trainieren«. FOTO: ARCHIV
Wer in Engstingen Hilfe zum Beispiel beim Einkaufen benötigt, kann sich an die Sportler des TVG wenden. Sie unterstützen Menschen mit der Aktion »Helfen statt trainieren«. FOTO: ARCHIV

Auch entwarf die rührige Gruppe einen Flyer, auf dem die Informationen für den Hilfsdienst genau beschrieben sind, weil davon ausgegangen wurde, dass insbesondere ältere Bürger eher schlecht über soziale Medien zu erreichen wären. Tausendfach gedruckt wurde dieser Infozettel bereits am letzten Wochenende an sämtliche Haushalte in den drei Engstinger Ortsteilen verteilt. »Da haben viele Leute mitgeholfen, sogar der dreijährige Kalle, Sohn von TVG-Jugendleiterin Nicole Hummel, war mit Feuereifer dabei«, sagt Dennis Bordt, der vom Initiator schon zu Anfang mit ins Boot geholt wurde und neben organisatorischen Aufgaben auch für die Pressearbeit zuständig ist.

Inzwischen hat die Hilfsaktion rasante Fahrt aufgenommen, die Telefone der Verantwortlichen stehen seither fast nicht mehr still, die E-Mail-Adresse des Vereins wird rege frequentiert. »Mitglieder anderer Engstinger Vereine oder Privatpersonen haben ihre Mithilfe und Unterstützung zugesagt, sogar in umliegenden Gemeinden ist unsere Aktion schon bekannt«, sagt Bordt und freut sich, dass ein Netzwerk aus 65 Helfern zur Verfügung steht. »Das ist fast unglaublich, dass wir in kürzester Zeit so viele Leute gefunden haben, die helfen wollen, und zwar bei Weitem nicht nur TVGler, sondern aus allen Bereichen.« Auch hätten sich Vereine oder Bürgermeister von außerhalb über die Aktion informiert, um selbst so einen Hilfsdienst in ihrer Gemeinde zu organisieren. »Das freut uns natürlich ungemein, in jedem Ort gibt es schließlich Menschen, die solche Unterstützung benötigen«, betont Staneker, dass ein Nachahmen der Aktion ausdrücklich erwünscht sei und sie gerne auch beratend zur Seite stehen.

»Das ist fast unglaublich, dass wir in kürzester Zeit so viele Leute gefunden haben, die helfen wollen«

Die Ideen gehen den TVGlern derweil nicht aus. So haben sie den Gedanken, Mittagessen von entsprechenden Anbietern zu den Älteren zu bringen, mit in ihre Angebotspalette aufgenommen oder Märkten angeboten, ihnen etwa beim Regale einräumen zu helfen, »weil diese Leute zurzeit unter wahnsinnigem Druck stehen«, fügt Staneker hinzu. Sie würden sich weiteren Anfragen von außen auch nicht verschließen. »Wenn jemand noch Ideen hat, einfach bei uns anrufen, wir besprechen dann in der Gruppe, ob wir es leisten können. Selbst wenn es nur Wäsche waschen bei jemandem ist«, unterstreicht Bordt. Sie hätten genügend Kapazitäten und wären offen für alles. »Die Helfer sind da, wir stehen in den Startlöchern und möchten loslegen.«

Nur »Gassigehen« mit Hunden wollen die Engstinger Sportler eigentlich nicht. »Gerade die Älteren sollten dies selber tun, um Frischluft zu tanken und ihr Immunsystem zu stärken.« Schließlich spreche selbst ein Ausgehverbot nicht dagegen.

»Wir stehen in den Startlöchern, scheuen Sie sich nicht, unsere Hilfe anzunehmen«

Zuletzt führten die Organisatoren Gespräche mit örtlichen Lebensmittelmärkten, Bäckern, Metzgern und anderen Firmen wegen der Durchführung ihrer Aktion, um dem Eindruck von Hamsterkäufen gleich im Vorfeld entgegnenzutreten. »Wir möchten mit unserer Aktion deutlich machen, dass vor allem die Generation sechzig plus geschützt werden soll, und Leute dieses Alters nicht noch ältere Nachbarn versorgen, sondern unsere Helfer einsetzen sollen«, bekräftigt Bordt. Der Hilfsdienst ist im Übrigen für die Nutzer kostenlos. Für den Fall, dass diese unbedingt ein Trinkgeld für die Hilfeleistung geben wollten, hätten sie mit allen Helfern vereinbart, »dass sie allerhöchstens fünf Euro annehmen dürfen«, sagt Staneker.

Derzeit sei die Nachfrage eher noch gering, erst wenige Aufträge gingen bei den rührigen Helfern bisher ein. »Vielleicht haben die Menschen nicht den Mut, uns einzusetzen, oder haben kein Vertrauen zu uns«, vermuten die beiden Organisatoren. Auch funktioniere in den ländlichen Gebieten familiäre Betreuung glücklicherweise noch besser als in Städten.

Aber für alle, die Beistand benötigen, senden die jungen Helfer ihren eindringlichen Appell: »Wir stehen in den Startlöchern, bitte, scheuen Sie sich nicht, unsere Hilfe anzunehmen.« (GEA)

 

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