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Aktuell Familiengeschichte

Überraschende Hilfe auf der Flucht aus Buttenhausen

Ein Nachfahre des letzten jüdischen Lehrers und Vorsängers besucht Buttenhausen

Naphtaly Berlinger auf dem jüdischen Friedhof in Buttenhausen. foto: Stadt
Naphtaly Berlinger auf dem jüdischen Friedhof in Buttenhausen. foto: Stadt
Naphtaly Berlinger auf dem jüdischen Friedhof in Buttenhausen. foto: Stadt

MÜNSINGEN-BUTTENHAUSEN. Am 22. August besuchte Naphtaly Berlinger, Enkel des letzten Vorsängers und Lehrers Naphtaly Berlinger, den Ort seiner Vorfahren in Buttenhausen. Aufgrund des positiven Berichts seines Neffen, Rabbi Yehuda Pink, der erst vor wenigen Wochen Buttenhausen besucht hatte, entschloss sich jetzt auch Naphtaly Berlinger, Buttenhausen zu besuchen. Mit dem Auto reiste Berlinger aus der Schweiz an, wo er Urlaub machte. Museumsleiter Yannik Krebs, Bernd Requardt und Eberhard Zacher empfingen Naphtaly Berlinger am jüdischen Museum. Dieser war äußerst interessiert und zeigte den Museumsführern ein Gebetbuch seines Vaters Leopold Berlinger, der das jüngste Kind des Lehrers und Rabbiners Naphtaly Berlinger war. Dieses trage er immer bei sich, berichtete er.

Im Anschluss ging es durch den Ort auf den jüdischen Friedhof. Dabei interessierte sich der Gast aus England vor allem für die Familie Marx und deren familiäre Verflechtungen, war doch seine Großmutter Hanna Berlinger eine geborene Marx.

Interessant war die Geschichte der Flucht seiner Großtante Fanny Berlinger, über die Naphtaly Berlinger dem Archivar Krebs und den Begleitern berichtete. In Buttenhausen war diese Geschichte bisher nicht bekannt.

Als bereits die meisten Kinder Berlingers ins Ausland emigriert sind, lebt seine jüngste Tochter Fanny noch bei ihm in Buttenhausen. Naphtaly Berlinger will sein zweitjüngstes Kind zur ältesten Tochter Jetta in die Schweiz schicken, obwohl sie kein Visum oder Dokumente besitzt, die ihr die Ausreise gestatten. Er redet ihr zu: »Es wird alles gut. Ich werde dich segnen. Es wird dir gut gehen. Du wirst Kinder haben und Enkelkinder. Ihr werdet gesegnet sein.« Es gelingt ihm, sie zu überzeugen. So begleitet er dann Fanny zum Stuttgarter Hauptbahnhof und setzt sie in den Zug. Fanny nimmt Platz in einem Zugabteil, in dem außer ihr nur ein Wehrmachtsoffizier sitzt. Sie ist ratlos, wie sie den Grenzübergang passieren kann. Als die Grenze näher rückt, hört sie, dass sich SS-Leute durch den Zug nähern, um die Papiere der Reisenden zu kontrollieren. In ihrer Angst sagt Fanny sich: »Ich habe eine Fahrkarte und meinen Pass. Aber kein Visum. Vater hat mich gesegnet und mir versichert, es werde alles gut werden.« Die Abteiltür wird aufgerissen, SS-Männer treten ein. Da hebt der Offizier die Hand. Er hält die SS mit den Worten zurück: »Behelligen Sie meine Verlobte nicht.« Tatsächlich bleiben sie stehen, sie verzichten darauf, Fanny zu kontrollieren und treten zurück. Der Offizier bleibt sitzen, ohne ein Wort an Fanny zu richten. Am nächsten Bahnhof steht er auf, hebt die Hand zum Gruß und steigt aus. Ohne Kontrolle kommt Fanny bei Jetta an.

Yannik Krebs sprach dem Gast im Namen der Stadt eine herzliche Einladung aus, wieder nach Buttenhausen zu kommen. Naphtaly Berlinger zeigte sich begeistert von Buttenhausen und stellte in Aussicht, gemeinsam mit seiner Schwester und seinem Neffen Rabbi Pink sowie dessen Familie Buttenhausen zu besuchen. Nach einem kurzen Gebet Berlingers und einem gemeinsamen Foto ging der Besuch zu Ende. (eg)