REUTLINGEN. Die Region Reutlingen-Tübingen hat bei der Zunahme der Arbeitslosigkeit zuletzt landesweit Spitzenplätze belegt. Die zuständige Agentur für Arbeit Reutlingen lag unter den Agenturen für Arbeit in Baden-Württemberg mit einer Zunahme von 22,1 Prozent im September knapp hinter der Agentur Stuttgart. Im August stand Reutlingen sogar noch auf Platz eins. »In manchen Vergleichen wäre ich gerne Letzter«, sagt dazu im Gespräch mit dem GEA Markus Nill, Chef der Agentur für Arbeit Reutlingen. Wegen der schwachen Konjunktur rechnet er nicht mit einer raschen Verbesserung der Lage: »Es ist nicht hoffnungslos, aber der Sonnenschein lässt gerade auf sich warten.«
Das Instrument Kurzarbeit wird weniger beansprucht. Die Zahlen bei Kündigungsschutzanzeigen und Insolvenzen gehen hoch – die der offenen Stellen runter. Folge: Im dritten Jahr des wirtschaftlichen Abschwungs steigt die Arbeitslosigkeit deutlich. Im September waren bundesweit 2.954.747 Millionen Menschen arbeitslos, 148.386 mehr als ein Jahr zuvor. Die Arbeitslosenquote lag bei 6,3 Prozent nach 6,0 Prozent zwölf Monate zuvor. In Baden-Württemberg sind 303.099 Menschen ohne Job – 26.049 mehr als vor einem Jahr. Die Arbeitslosenquote im Land liegt bei 4,7 (Vorjahr: 4,3) Prozent.
Die Region Reutlingen-Tübingen steht im Vergleich zu den Bundes- und Landesdaten mit einer Arbeitslosenquote von 4,4 (Vorjahr: 4,0) Prozent zwar nach wie vor gut da. Doch der Zuwachs der Arbeitslosenzahlen war in jüngster Zeit überdurchschnittlich. 13.088 Arbeitslose bedeuten auf Jahresfrist ein Plus von 11,9 Prozent – gegenüber plus 5,3 Prozent auf Bundes- und plus 9,4 Prozent auf Landesebene. In der Region waren im September 1.396 Personen mehr arbeitslos als vor einem Jahr.
Zuwächse bei Entlassungen und Insolvenzen
Nill macht darauf aufmerksam, dass die regionale Arbeitslosigkeit zuletzt vor allem im Rechtskreis Sozialgesetzbuch III, also in der Arbeitslosenversicherung, gestiegen sei – und zwar innerhalb eines Jahres um 1.086 auf 5.994, also um den oben genannten Wert von 22,1 Prozent im Vergleich zu 16 Prozent im Land. Im Rechtskreis Sozialgesetzbuch II (Grundsicherung) sei der Zuwachs mit 310 oder 4,6 Prozent auf 7.094 Betroffene wesentlich geringer ausgefallen. Hohe Arbeitslosenmeldungen aus der Erwerbstätigkeit träfen auf eine derzeit schwache Aufnahmefähigkeit des Arbeitsmarktes, erläutert Nill: »Bereits seit März 2023 ist der Zugang an Arbeitsstellen kontinuierlich gesunken. In diesem Jahr hat sich das zwar etwas stabilisiert, wir liegen aber immer noch 30 Prozent unter dem Niveau von 2021 und können unseren Kunden entsprechend weniger anbieten.«
In der Hoffnung, neue Aufträge zu erhalten, hätten viele Betriebe in der aktuellen Krise lange Zeit Personal mit Kurzarbeit gehalten. Nun werde vermehrt gekündigt. Gemäß den der Agentur für Arbeit Reutlingen vorliegenden Kündigungsschutzanzeigen sind in diesem Jahr bis 30. September 1.111 Personen (von 3.809 Personen in den betroffenen Betrieben) in der Region entlassen worden – doppelt so viele wie im Vorjahreszeitraum. In dieser Zeit habe die Agentur in ihrem Gebiet von 69 (Vorjahr: 51) Insolvenzen erfahren.
Der Behördenchef stellt indes fest, dass die Lage nach Betrieben, Branchen und Landkreisen uneinheitlich sei. »Es gibt auch Betriebe, die massiv Personal aufbauen«, berichtet er. In der öffentlichen Verwaltung und im Gesundheits- und Sozialwesen entstünden seit Jahren zusätzliche sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze, während in der Industrie Jobs verlorengegangen seien. Daraus folgend, steige die Arbeitslosigkeit im Landkreis Reutlingen deutlich stärker als im Landkreis Tübingen: Im Landkreis Reutlingen waren im September 8.178 Menschen ohne Beschäftigung, 13,6 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Im Landkreis Tübingen gibt es derzeit 4.910 Arbeitslose (plus 9,4 Prozent).
Fusion zur Agentur für Arbeit Balingen-Reutlingen
Der Diplom-Verwaltungswirt Nill, Jahrgang 1981, ist seit 2018 Mitglied der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Reutlingen und seit 1. Juli vergangenen Jahres Vorsitzender der Geschäftsführung. Wie gemeldet, werden die Agenturen für Arbeit in Balingen und Reutlingen zum 1. Januar 2026 zur Agentur für Arbeit Balingen-Reutlingen zusammengeschlossen und Nill wird dann Vorsitzender der Geschäftsführung der fusionieren Agentur für Arbeit Balingen-Reutlingen sein. Da Anke Traber, Jahrgang 1964, die bisherige Leiter der Agentur für Arbeit in Balingen bereits den Vorsitz der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Konstanz-Ravensburg übernommen hat, ist Nill seit 1. Oktober mit der kommissarischen Leitung der Agentur für Arbeit Balingen beauftragt – zusätzlich zu Reutlingen.
Die neue Agentur für Arbeit Balingen-Reutlingen mit Sitz in Reutlingen wird 300 Beschäftigte haben: 180 in Reutlingen und 120 in Balingen. Sie ist für die vier Landkreise Reutlingen, Tübingen, Balingen und Sigmaringen mit etwa 850.000 Einwohnern und 330.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten zuständig. Die vier Job-Center in den vier Kreisstädten, deren Träger die Agentur für Arbeit und die jeweiligen Landkreise sowie in Reutlingen die Stadt Reutlingen sind, haben zusammen über 450 Beschäftigte, von denen etwa 75 Prozent bei der Agentur für Arbeit angestellt sind. »Wir bereiten uns seit Juli 2024 auf die Fusion vor und wollen das Beste aus zwei Welten zusammenführen. Balingen wird von Reutlinger Strukturen profitieren, aber auch Reutlinger Kollegen profitieren von Ideen aus Balingen«, merkt Nill dazu an. Die regionalen Zuständigkeiten blieben erhalten. Nach der Änderung in der Geschäftsführung werde jedoch aus den bisher zwei Verwaltungsausschüssen mit je zwölf Mitgliedern ein neues Gremium mit 15 Mitgliedern für die neue Einheit gebildet.
Für Nill, der aus Bodelshausen stammt und dort (wieder) wohnt, schließt sich der Kreis: »Ich habe mich 2001 in Balingen beworben, doch diese Bewerbung wurde wegen meines Wohnsitzes nach Reutlingen geschickt. Jetzt geschieht, was eigentlich vor 25 Jahren geplant war.« Er wolle künftig an drei Tagen in Reutlingen und an zwei in Balingen arbeiten. (GEA)

