GOMADINGEN. Mit Schmerzen im Bein fing es an. Kein Grund zum Arzt zu rennen, hat sich Michael Hossinger gedacht und humpelte einige Monate durchs Leben, führte auch seinen Maschinenbaubetrieb mit 18 Mitarbeitern weiter wie bisher. Als der Schmerz nicht verschwand, ging er dann doch zum Hausarzt. Der nahm die Sache zum Glück ernst und schickte ihn weiter zum Neurologen und – als der nicht weiterkam – an die Universitäts- und Rehabilitationskliniken in Ulm.
Am 3. September dann die Diagnose: Amyotrophe Lateralsklerose, kurz ALS. »Ich wusste nicht mal, was das ist«, erinnert sich der 37-Jährige. Die Aufklärung war nicht erfreulich. ALS ist eine nicht heilbare Erkrankung des motorischen Nervensystems. Im Verlauf der Krankheit treten zunehmend Muskelschwund und Lähmungen auf, die Überlebenszeit beträgt etwa drei Jahre.
»Mit diesem Rückenwind wurden aus schlechten Tagen gute Tage«
Nicht heilbar bedeutet, dass es zurzeit keine in Deutschland zugelassenen Therapien gibt. Der Unternehmer aus Gomadingen ergab sich nicht in sein Schicksal, er unternahm etwas. Und tatsächlich stieß er bei seiner Internet-Recherche, unterstützt von einem befreundeten Arzt, auf Mediziner, die neue Wege im Kampf gegen ALS beschreiten. Und dabei auf den Einsatz von Stammzellen setzen. Durch die Stammzellen-Therapie kann der Krankheitsverlauf zwar nicht rückgängig gemacht, aber gestoppt werden. Hossinger hat nun Behandlungen in Tschechien und Polen begonnen. Bei den deutschen Krankenkassen können die hier nicht zugelassenen Behandlungen nicht abgerechnet werden. Das bedeutet aber, dass der Patient selbst die Kosten zu tragen hat und die nähern sich bei ALS schnell der 100 000-Euro-Marke. Zu viel für einen Normalsterblichen.
Nun geschah so etwas wie ein Weihnachtswunder. In der stillen Zeit hatten Claudia und Axel Sonnemann eine ungewöhnliche Idee: Sie wollten versuchen, auf der Spendenplattform »Gofundme« Mittel für ihren Freund zu sammeln. »Es war eine Eingebung«, erinnert sich Claudia Sonnemann, die mit »Fundraising« bisher keine Erfahrungen hatte. Hossinger war nicht sofort überzeugt, »Almosen annehmen und alles öffentlich machen, das wollte ich erst nicht.«
Aber er ließ sich überzeugen und die Aktion wurde ein unerwartet großer Erfolg. 64 869 Euro kamen bisher zusammen, der letzte größere Eingang über 2 507 Euro war das Ergebnis eines Spendenaufrufs bei der Marbacher Hengstvorstellung am vergangenen Samstag.
Dass die Pferdefreunde sich großzügig zeigten, kam nicht von ungefähr. Hossinger hat seit zehn Jahren alle Veranstaltungen im Haupt- und Landgestüt, bis auf die Hengstparade, mit Tontechnik ausgestattet. Überhaupt ist er in und um Gomadingen gut vernetzt. Die Spendenaktion ist denn auch eine Geschichte über den Zusammenhalt in ländlichen Gemeinden. »In der Großstadt hätte das nicht funktioniert«, ist sich Hossinger sicher. Die 405 Spenden kamen von Freunden und Bekannten, von Unbekannten, von Vereinen, Feuerwehren, Unternehmen und allen Gaststätten aus den sieben Ortsteilen. In Dapfen und Gomadingen wurde in der Kirche gesammelt, der JC Meeting Gomadingen und der Bauwagen Glems veranstaltete eine Spendenparty. Verbreitet wurde der Hilferuf über soziale Medien, »mit riesigen Klickzahlen«, freut sich Claudia Sonnemann. Und ganz analog mit Flugblättern, die die Sonnemann-Kinder im strömenden Regen verteilten.
Ohne die Aktion hätte er »Haus und Hof verkaufen müssen«, ist Hossinger dankbar. Mindestens genau so wichtig ist ihm der Rückhalt, der ihm vermittelt wurde: »Mit diesem Rückenwind wurden aus schlechten Tagen gute Tage.«
Die Spendenseite soll jetzt geschlossen werden, das angestrebte Ziel von 50 000 Euro ist schon lange und weit überschritten. Nun will Hossinger sich bei allen, die ihn unterstützt haben und noch unterstützen persönlich bedanken. Vielleicht in Kürze mit einem Spendenfrühstück für die Geber. (GEA)
Diagnose ALS
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