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Kakao und Semmeln in der Pause

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs waren Lebensmittel streng rationiert. Hoover-Speisung für Schüler

Die Hoover-Speisung in Reutlingen: Schüler stehen Schlange für eine Pausen-Mahlzeit mit Kakao sowie Brot, Nudeln oder Reis.  FOT
Die Hoover-Speisung in Reutlingen: Schüler stehen Schlange für eine Pausen-Mahlzeit mit Kakao sowie Brot, Nudeln oder Reis. FOTO: STADTARCHIV REUTLINGEN/FOTO DOHM
Die Hoover-Speisung in Reutlingen: Schüler stehen Schlange für eine Pausen-Mahlzeit mit Kakao sowie Brot, Nudeln oder Reis. FOTO: STADTARCHIV REUTLINGEN/FOTO DOHM

PFULLINGEN. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war die Verteilung der produzierten Lebensmittel streng reglementiert: Sie wurden in den Besatzungszonen nur auf entsprechende Lebensmittelkarten ausgegeben. Nebenher entwickelte sich allerdings ein reger »Schwarzer Markt«. Um die Schüler mit ausreichend Kalorien zu versorgen, wurde 1946 die sogenannte »Hoover-Speisung« gestartet.

Im 20. Jahrhundert kam es infolge der zwei Weltkriege zu staatlich provozierten Engpässen in der Versorgung der Bevölkerung, schreiben Waltraud Pustal, Vorsitzende des Pfullinger Geschichtsvereins, und Stadtarchivar Stefan Spiller in einem Text für die Ausstellung »Wege aus Krisen und Krieg«, die 2015 im Stadtgeschichtlichen Museum Schlössle zu sehen war.

Der achte Kriegswinter

Im Ersten Weltkrieg mangelte es der Bevölkerung über die ganze Kriegszeit hinweg an Nahrungsmitteln. Während des Zweiten Weltkriegs war die Situation nicht so dramatisch, die Ernährungslage wurde erst nach Kriegsende wirklich problematisch: Die Infrastruktur war zerstört, Institutionen, die zuvor die Verteilung von Lebensmitteln organisiert hatten, fielen weg, zahlreiche Vertriebene und Flüchtlinge waren zu versorgen, heißt es im Text von Pustal und Spiller. Die Besatzungstruppen machten daher Liefervorgaben für landwirtschaftliche Produkte; Lebensmittel gab es nach wie vor nur gegen Lebensmittelkarten.

Besonders hart war der Winter 1946/47, der wohl zum letzten Mal in der jüngeren deutschen Geschichte zahlreiche Opfer infolge von Unterernährung forderte – die Bevölkerung sprach auch vom achten Kriegswinter. Um den drängendsten Ernährungsproblemen entgegenzuwirken, wurde ab 1946 auch in Pfullingen eine Suppenküche eingerichtet, um die Schüler zu versorgen: die sogenannte Hoover-Speisung.

Benannt wurde die Hilfsmaßnahme nach Herbert Clark Hoover, der von 1929 bis 1933 der 31. Präsident der USA war und nach dem Krieg als Berater von Präsident Harry S. Truman fungierte. Nach Reisen in das zerstörte Deutschland hatte er sich für eine Schulspeisung in der britischen und amerikanischen Besatzungszone starkgemacht. Vor allem unterernährte Stadtkinder wurden mit einer täglichen Mahlzeit versorgt, um ihren Kalorienbedarf zu decken, schreibt Helmut Bader in seinem Heft »Pfullinger Zeitzeugnisse aus dem Zweiten Weltkrieg und den Nachkriegsjahren«, das er 2008 zusammen mit dem Geschichtsverein herausgegeben hat. Er schildert, dass seinerzeit auch in der Oberschule Pfullingen die Schüler Schlange standen, um ihren Anteil entgegenzunehmen. Helferinnen und Helfer vom Roten Kreuz erwärmten dafür in großen Wecktöpfen das angerührte Trockenmilchpulver, streuten Kakao hinein und verteilten das Getränk an die Schüler. Dazu gab es entweder ein Stück Brot, ein Weckle, eine Semmel, süße Nudeln oder Reis.

Ein kleines Stück Schokolade

»Anfangs schmeckte diese Pausenmahlzeit recht gut«, erinnert sich Bader, »auch litten wir Stadtkinder wirklich unter Hunger. So langsam besserte sich die Versorgungslage und unser Hoover-Speisungs-Kakao entwickelte sich allmählich zur Pausen-Munition: Man konnte vor allem die Mitschülerinnen damit anspritzen, ein gar nicht gern gesehenes Szenario.« Das Beste an der Hoover-Speisung war aus Baders Sicht die gelegentlich dazu gereichten kleinen Stückchen Cadbury-Schokolade. 1949 lief das Hilfsprogramm aus.

Infolge der Rationierung blühten Tauschhandel und Schwarzer Markt: Lebensmittel wurden gegen Sachwerte eingetauscht, schreiben Pustal und Spiller in ihrem Text. Der Marshallplan (offiziell: European Recovery Program) und die Währungsreform verbesserten die Situation dann ab 1947/48 und markierten den Beginn einer lang anhaltenden Phase des Aufschwungs, die als die Wirtschaftswunderjahre in die Geschichte der Bundesrepublik eingegangen sind.

Im Bereich der Ernährung fand das Wirtschaftswunder in der sogenannten Fresswelle seinen Ausdruck: Besondere Wertschätzung genossen nun eben jene Produkte, die lange Jahre rationiert worden waren wie zum Beispiel Sahne, Butter oder Fleisch. Die Kalorienversorgung der Bevölkerung ging auch in Pfullingen steil nach oben. (fm/ps)

 

SCHAUPLÄTZE

Markante Ereignisse und Schauplätze in Zusammenhang mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Pfullingen: Mit diesem Artikel endet kleine Serie im GEA, die auf den Aufzeichnungen von Zeitzeugen und Pfullinger Historikern basiert. (ps)