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In Lichtenstein Croissants und Eis geklaut: Gerichtsverfahren eingestellt

Ein junger Gambier musste sich vor dem Amtsgericht wegen räuberischen Diebstahls in Lichtenstein verantworten. Schöffengericht stellte Verfahren wegen Verhandlungsunfähigkeit ein.

Foto: Fischer
Foto: Fischer

REUTLINGEN/LICHTENSTEIN. Der materielle Schaden ist übersichtlich. Waren im Wert von 11,49 Euro hat der junge Gambier entwendet, weshalb er sich vor kurzem vorm Schöffengericht des Reutlinger Amtsgerichts verantworten musste. Einmal hat er eine Tüte Schokocroissants im Lichtensteiner Rewe nicht vollständig bezahlt und war trotz Aufforderung der Kassierin Richtung Ausgang geflüchtet. Schuldig blieb er 42 Cent. Das zweite Mal wollte er sich an der Avia-Tankstelle am Ortseingang vier Magnum-Eis kaufen und diese mit der Karte bezahlen. Als das nicht klappte, schnappte er sich drei davon und flüchtete. Dabei riss es sich von der Verkäuferin los, im Rewe-Markt hatten sich im zwei Kunden in den Weg gestellt, die schob er beiseite, eine Frau stürzte dabei. Deshalb lautet der Vorwurf von Staatsanwalt Valentin Rebstock: räuberischer Diebstahl, dafür gilt eine Mindeststrafe von einem Jahr.

Eigentlich hätte der Fall bereits Mitte August verhandelt werden sollen, doch zum damaligen Termin war der Angeklagte nicht erschienen und war dann von der Polizei vorgeführt worden. Dabei hatte sich schnell gezeigt, dass der ausreisepflichtige Mann nicht verhandlungsfähig war. Ob Drogenkonsum dahinterstecke oder anderes konnte Richter Eberhard Hausch damals nicht klären. Dass sich auch bei der Neuauflage des Gerichtstermins das Gespräch mit dem Angeklagten sehr schwierig gestaltete, lag diesmal aber aller Wahrscheinlichkeit nicht an Drogen. Denn der 23-Jährige wurde von Vollzugsbeamten in den Saal geführt. Rund 55 Tage hatte er unter anderem wegen nicht bezahlter Geldstrafen in Ersatzhaft gesessen. Die Wahrscheinlichkeit, dass er da an Marihuana gekommen sei, sah Hausch als gering an.

Wirre Einlassungen

Nicht nur Verteidiger Steffen Kazmaier hatte zu Beginn, als der Täter gleich alle Straftaten einräumte, in den Raum geworfen, »dass nicht klar ist, was bei dem Angeklagten ankommt«. Richter Hausch wiederum hatte keinen Zweifel am Geständnis, aber daran, dass dem Gambier klar war, was das bedeutet. Zu wirr waren im Vorfeld seine Einlassungen gewesen - seine Aussagen sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch zusammenhanglos.

Wohl 2016 ist der Gambier nach Italien eingereist und dann nach Frankreich weitergezogen. Dort hat er auf der Straße gelebt und keine Aussicht auf Asyl gehabt. Deshalb ist er schließlich 2021 in Heidelberg gelandet, entnahm Hausch einer damals angefertigten Akte, die letztlich aber wenig Rückschlüsse auf die Biografie des jungen Mannes gab.

Das Schöffengericht hatte aufgrund der Vorgeschichte den Psychiater Dr. Heiner Missenhardt zugezogen, der sich rund eine Dreiviertelstunde mit dem Angeklagten unterhielt. Der Gutachter kam unter Vorbehalt der kurzen Dauer des Gesprächs zu einem klaren Ergebnis. Missenhardt ist überzeugt, dass der Gambier keine Erkrankung vorgegaukelt. Das sei über die 45 Minuten nicht durchhaltbar. Im Gespräch sei er zeitlich nicht orientiert gewesen. Der Angeklagte wisse auch nicht, warum er im Gefängnis gesessen habe. Zu den beiden Taten, die er ja anfangs gestanden hatte, sagte er im Gespräch, dass sich das im Rewe so nicht abgespielt und er in der Tankstelle mit Bargeld bezahlt habe. »Er redet viel, aber kaum verständlich.« Für Missenhardt deutet bei dem Angeklagten viel auf eine desorganisierte Schizophrenie hin. Eine Erkrankung, deren Symptome, chaotisches Denken, verwirrende Sprache (oft »Wortsalat«), unangemessenes emotionales Verhalten und verminderte emotionale Reaktionen sind.

Am Ende der Möglichkeiten

Damit stand das Gericht gleich vor mehreren Fragen. Besteht eine Aussicht, dass der Angeklagte in absehbarer Zeit so weit gesundet, dass eine Verhandlung möglich ist, und was macht man mit dem jungen Mann bis dahin? Eine Zwangseinweisung in die Psychiatrie ist nicht möglich und der Sachverständige machte wenig Hoffnung darauf, dass die psychischen Probleme schnell und dauerhaft in den Griff zu kriegen sind. »Hier ist das Strafgesetz am Ende der Möglichkeiten«, bilanzierte Hausch bei der Einstellung des Verfahrens wegen Verhandlungsunfähigkeit.

Im Gerichtssaal

Vorsitzender Richter: Eberhard Hausch. Schöffen: Anja Schenk und Frank Dollinger. Staatsanwalt: Valentin Rebstock. Rechtsanwalt: Steffen Kazmaier. Gutachter: Dr. Heiner Missenhardt.

Klar ist, der Gambier wird wieder auffällig werden. Hausch leitet auf jeden Fall mal die Unterlagen an das Betreuungsgericht weiter. Bleibt zu hoffen, dass der junge Mann doch noch einen Weg zurück zu seiner Familie findet, die würde ihn offensichtlich gerne wieder in Gambia aufnehmen, zumindest berichtete das eine Helferin des Lichtensteiner AK Asyl am Rande der Verhandlung. Allerdings bräuchte er für die Rückführung einen Pass. Und der ist offensichtlich nicht so einfach zu beschaffen. (GEA)