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Aktuell Krise

Schulsozialarbeit in Corona-Zeiten: Ernüchternde Bilanz in Dettingen

Vielen Schülern hätten durch die Schulschließung Strukturen gefehlt, heißt es in einem Bericht an der Verwaltungsausschuss. Auch mit den medialen Anforderungen seien lange nicht alle klar gekommen

Allein in Reutlingen sind mehr als 10 000 Schüler und knapp 5 000 kleine Kinder von der Schließung ihrer Schulen und Kindergärte
Allein in Reutlingen sind mehr als 10 000 Schüler und knapp 5 000 kleine Kinder von der Schließung ihrer Schulen und Kindergärten betroffen. FOTO: MURAT/DPA
Allein in Reutlingen sind mehr als 10 000 Schüler und knapp 5 000 kleine Kinder von der Schließung ihrer Schulen und Kindergärten betroffen. FOTO: MURAT/DPA

DETTINGEN. Besondere Zeiten erfordern ungewöhnliche Arbeitsweisen: »Wir haben die Schüler zu Hause regelrecht ausgegraben«, berichtet der Dettinger Schulsozialarbeiter Lars Luft bei der jüngsten Sitzung des Verwaltungsausschusses von den Methoden während der Coronapandemie. Die Bilanz fällt ernüchternd aus: »In den Familien, die schon vor der großen Krise strukturelle und pädagogische Probleme hatten, sehen wird die Gefahr, dass bleibender Schaden entstanden ist«, heißt es in dem Bericht von Christel Bahnmüller-Luft und Lars Luft.

»Wir erwarten in den meisten Fällen eine Verschärfung der Problematik«

Entgegen ihrer Gewohnheit, den Jahresbericht den Gemeinderäten vor allem visuell und in relativ freier Rede zu präsentierten, hatten ihn die Schulsozialarbeiter den Mitgliedern des Verwaltungsausschusses nun in schriftlicher Form vorgelegt – getagt wurde nämlich in einem Videochat. In ihrem Text machten sie deutlich, dass sich die Situation in Dettingen nicht von der in anderen Gemeinden und vor allem in den Städten unterscheide: »Wir wollen unsere Sorge ausdrücken, dass die Folgen aus pädagogischer und gesellschaftlicher Sicht weitaus gravierender sein werden, als es bislang angenommen.«

Vielen Schülern hätten durch die Schulschließung Strukturen gefehlt, die seien in einigen Familien regelrecht zusammengebrochen – betroffene Kinder könnten so schnell ins Hintertreffen geraten: »Sie sind vom ersten Tag an von den auftretenden Anforderungen ohne Anleitung heillos überfordert«, heißt es im Jahresbericht. Erschwerend sei hinzugekommen, dass über eine laut Lars Luft sehr lange Phase von vier bis fünf Wochen ganz wenig Kontakt zwischen Schülern, Schule und Schulsozialarbeit möglich gewesen sei – zum einen habe für dieses Szenario jegliche Erfahrung gefehlt, aber auch die technische Ausstattung sei ungenügend.

Fazit: »Wir würden so weit gehen, dass die sozialen Bedürfnisse der Kinder und Familien in der Prioritätenliste weit nach hinten gerutscht waren und durch die lange Reaktionszeit und die begrenzten Kapazitäten viele bereits erreichte Verbesserungen zunichtegemacht wurden.«

Um den Anschluss nicht ganz zu verpassen, habe man laut Christel Bahnmüller-Luft Sozialarbeit wie vor 30 Jahren gemacht: »Wir haben an den Haustüren geklingelt und nach ihnen geschaut.« In 20 Fällen habe man sich um eine Kontaktaufnahme bemüht, in Einzelfällen seien Schüler im Büro der Schulsozialarbeiter unterstützt worden. Mit ganz besonderer Sorge bewerten sie die Situation der Schulschwänzer: »Wir erwarten in den meisten Fällen eine Verschärfung der Problematik beziehungsweise einen Rückfall weit hinter das Erreichte zurück.«

»Es wird nicht in allen Fällen gelingen, den Zustand von vor der Krise zu erreichen«

Eine Erkenntnis mit Blick auf die Schüler der Sekundarstufe sei unerwartet gewesen: "Viele sind an den medialen Anforderungen gescheitert", heißt es im Bericht. Als "digital natives" geltend, waren sie dennoch mit der zur Verfügung gestellten Software überfordert beziehungsweise konnten im häuslichen Umfeld nicht auf ausreichende Hardware zurückgreifen". Die Folgen laut Bericht: "Es wird mit Sicherheit nicht in allen Fällen gelingen, den Zustand von vor der Pandemiekrise wieder zu erreichen, speziell bei Kindern mit besonderem Förder- oder Unterstützungsbedarf und ihren Familien."

Die Coronakrise und die damit einhergehende Schließung der Schillerschule habe an vielen Stellen aufgezeigt, wo die Baustellen seien und könne als Katalysator wirken, um diese Fragen ernsthaft zu bearbeiten: »Wir tragen unseren Teil gerne dazu bei«, so Christel Bahnmüller-Luft und Lars Luft. Ein Anfang sei mit der Öffnung der Schule gemacht, man habe so die Schüler wieder vor Ort.

Die Dettinger Schulsozialarbeit werde sich verstärkt im Sommerferienprogramm einbringen, in diesem Zusammenhang lobten sie die vom Gemeinderat einstimmig beschlossene Öffnung des Freibads. Für die Arbeit von Christel Bahnmüller-Luft und Lars Luft gab’s fraktionsübergreifend viel Respekt: »Ich bin mir sicher, dass sie einiges auffangen können und sich ins Zeug legen«, betonte Wolfgang Budweg (CDU). UL-Gemeinderat Dr. Frank Schwaigerer unterstrich: »Sie machen viel, viel mehr als Schulsozialarbeit leisten sollte.« (oech)