METZINGEN/TÜBINGEN. Es handelte sich um keine Affekttat. Die Angeklagte hat keine Persönlichkeitsstörung und sie ist auch sonst nicht psychisch krank. So urteilte am Dienstag vor dem Tübinger Landgericht der psychiatrische Gutachter Dr. Heiner Missenhardt über die 38-jährige Metzingerin, die in den frühen Morgenstunden des 4. Dezember 2019 ihre Schwiegermutter überfiel, sie würgte und versuchte, sie zu ersticken. Die Staatsanwaltschaft hält die Tat für einen versuchten Mord.
Im Prozess verhielt sich die Angeklagte bisher mehrmals emotional sehr auffällig. Sie fing an, laut zu schluchzen, als ihre Schwiegermutter vor Gericht aussagte. Und sie bekam bei ihren Einlassungen zum Geschehen im vergangenen Dezember immer wieder kaum einen Ton heraus, weil sie unablässig weinte. Ansonsten verfolgte sie die Zeugenaussagen, in sich zusammengesunken, mehr oder weniger regungslos.
Die Indizien dagegen sprechen eine andere Sprache. Sie könnten darauf hinweisen, dass sie die Tat sorgfältig plante. Im Vorfeld des Überfalls informierte sich die 38-Jährige im Internet, wie man Menschen ersticken kann. Bei ihrem Überfall trug sie Handschuhe, die sie nach der Tat im Mülleimer entsorgte. Die Polizei fand diese Handschuhe und eine Sachverständige des Landeskriminalamts (LKA) entdeckte daran DNA-Spuren des Opfers, wie eine Diplom-Biologin dem Gericht gestern schilderte.
Faserspuren der Handschuhe waren laut einem weiteren Gutachten des Landeskriminalamts auch an zwei Kissen, die die 38-Jährige ihrer Schwiegermutter aufs Gesicht gedrückt haben soll. Allerdings erklärte die Sachverständige auf Nachfrage von Verteidiger Urs Heck auch, dass sie mehr Faserspuren auf den Kissen erwartet hätte, wenn die Angeklagte sie bei der Tat wirklich fest auf das Gesicht der alten Frau gedrückt hätte.
Deshalb hängt letztlich alles davon ab, wie die Schwurgerichtskammer des Tübinger Landgerichts die Tat wertet. Hat die Angeklagte ihren Angriff nur beendet, weil sie geglaubt hat, die Schwiegermutter sei tot? Dafür spricht, dass sie ihr Opfer nach der Attacke mit den Kissen wohl noch zweimal am Oberschenkel anstupste, um zu sehen, ob die Frau noch lebt.
Oder hat sie den Überfall freiwillig beendet, weil ihr, wie sie vor Gericht behauptete, plötzlich klar geworden sei, was sie getan habe. Als sie gegangen sei, habe sie gesehen, dass die Schwiegermutter noch atmete, so die 38-Jährige in ihrer Aussage.
Auf eine Strafminderung wegen psychischer Ausfallserscheinungen kann sie nach dem Gutachten von Missenhardt nicht hoffen. Der Psychiater diagnostizierte bei ihr zwar eine Anpassungsstörung, eventuell mit einer leichten bis mittelgradigen depressiven Episode, eine psychische Erkrankung, die ihre Steuerungs- und Einsichtsfähigkeit eingeschränkt hätte, konnte er aber nicht feststellen.
Dem Geschehen im vergangenen Dezember soll nach Aussage der Angeklagten eine starke Kränkung vorausgegangen sein. So habe ihr Mann, von dem sie zu dem Zeitpunkt bereits getrennt lebte, gesagt, dass er nicht mit ihr und den Kindern zusammen Weihnachten feiern werde, meinte sie. Von dieser angeblichen Kränkung bis zur Tat sei aber so viel Zeit vergangen, dass man nicht von einem Affektgeschehen reden könne, so Missenhardt. Auch die depressive Phase könne nicht so stark gewesen sein, denn Depressionen wirkten sich eigentlich eher straftathemmend aus. (GEA)