METZINGEN. 38 – 55 – 76 sind keine Lottozahlen. Gewonnen hätte mit ihnen im Metzinger Bahnhof auch kein in der Beweglichkeit eingeschränkter Fahrgast. Denn die Zahlen spiegeln die Höhenunterschiede zwischen Zügen und Bahnsteigen, die für Rollstuhlfahrer unüberwindbar sein können und für ältere Menschen, Kinderwagenschieber oder Kofferroller zumindest erschwerend sind. In keinen der in Metzingen haltenden Züge geht es ohne fremde Hilfe stufenlos, weder in die neuen Talent-2-Triebzüge von Abellio, die auf der Neckaralbbahn Stuttgart – Tübingen fahren, noch in deren ältere Ersatzzüge noch in die Regionalbahnen zwischen Bad Urach, Tübingen und Herrenberg, dieselgetriebene Regio Shuttles der DB Regio, die Ende 2022 abgelöst werden.
Die Einstiege von Talent und Regio Shuttle sind 55 Zentimeter hoch. Der Bahnsteig am Gleis 1 am Empfangsgebäude ist zu niedrig für sie, er liegt bei 38 Zentimetern. Das kündet aus einer Zeit, als man an Minderheiten im Regionalverkehr noch nicht so sehr dachte; die große Mehrheit stieg und steigt über mindestens eine Zwischenstufe am Zug ein und aus. Der Mittelbahnsteig zwischen Gleis 2 und 3 hingegen ist zu hoch für die Stammfahrzeuge der Strecke: 76 Zentimeter. Also geht’s auch hier nicht ohne Stufe raus und rein. 55-Zentimeter-Bahnsteige finden sich dagegen etwa in Reutlingen Hauptbahnhof, zum Teil auch in Tübingen.
Bauarbeiten ab Ende 2021
Trost für alle Abellio-Kunden: In den Talent-Zügen gibt es zumindest Rampen, mit denen die im Zug mitfahrenden Kundenbetreuer bei Bedarf den Abstand zum Bahnsteig überbrücken können – wie bis Mitte 2020 in den Regionalexpress-Zügen der Deutschen Bahn auch; die alte Regionalverkehrszeit war insoweit weder besser noch schlechter als die neue.
Obendrein wird Abellio im Frühjahr voraussichtlich nochmal angemietete Triebzüge der DB der Baureihe 425 einsetzen, weil die Talente zu einem Software-Update nach und nach alle ins Betriebswerk müssen. Die Einstiege der schon von Juni bis Dezember 2020 eingesetzten 425-Züge sind 76 Zentimeter hoch, das passt für einen höhengleichen Ein- und Ausstieg am Mittelbahnsteig. An der steilen Treppe zur Unterführung warten allerdings sofort die nächsten Barrieren auf die Fahrgäste, nachdem der ebenerdige und von Bahnpersonal gesicherte Übergang über die Schienen 2016 ausgebaut wurde. Am Gleis 1 ist im Fall der Fälle wieder Ausstiegshilfe über Rampen möglich.
Und die Zukunft? Soll eigentlich barrierefrei werden. Die lange geforderten und schließlich genehmigten drei Aufzüge an allen Bahnsteigen sollen vom vierten Quartal 2021 bis zum ersten Quartal 2023 eingebaut werden. Der Hausbahnsteig (am Empfangsgebäude) soll vom zweiten Quartal 2022 bis zum vierten Quartal 2023 umgebaut und erhöht werden, zudem wie der Mittelbahnsteig ein Blindenleitsystem erhalten. Weitergehende Umbauten, konkret eine Tieferlegung des baulich in passablem Zustand befindlichen Mittelbahnsteigs haben bisher weder die Deutsche Bahn noch die Erms-Neckar-Bahn AG, die beide für die Bauarbeiten zuständig sind, kommuniziert.
Provisorische Anhebung möglich
Wohl aber soll für die Regionalstadtbahn Neckar-Alb, deren Vorläufer Ende 2022 in Betrieb gehen, ein Gleis 4 gebaut werden, das auch noch einen Bahnsteig bekommen muss. Dieser wird mutmaßlich 55 Zentimeter hoch sein, wie es auch die teilweise bereits verlängerten Bahnsteige zwischen Neuhausen und Bad Urach sind. Auch Gleis 1 am Metzinger Bahnhof dürfte auf Höhe der neuen gelb-schwarz-weißen Talente gelupft werden. Das ginge provisorisch schon vor dem geplanten Baubeginn, wollten die Bauherren es denn: In den Bahnhöfen Plochingen und Göppingen etwa hat die DB Bahnsteige mittels Stahl- und Holzgerüsten samt Zufahrtsrampen angehoben.
Diese Lösung fällt beim zu hohen Metzinger Mittelbahnsteig flach. Bleibt Rollstuhlfahrern die Hoffnung auf weitere bauliche Hilfe aus Stuttgart (DB) und Bad Urach (ENAG) und auf Zugbegleiter in möglichst vielen Fahrzeugen. (GEA)