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Von Männern und Vanillesoße: »Effi, ach Effi Briest« am Tübinger LTT

Der tragische Stoff aus wilhelminischer Zeit klamottig entstaubt: Ein junges Team zeigt am LTT Moritz Franz Beichls Fontane-Überschreibung »Effi, ach Effi Briest« bunt, schrill, überdreht – mit Musik und Tiefgang.

Die Tübinger Effi mit den beiden Männern in ihrem Leben, Major Crampas und Baron Innstetten (von links): Sebastian Fink, Roman M
Die Tübinger Effi mit den beiden Männern in ihrem Leben, Major Crampas und Baron Innstetten (von links): Sebastian Fink, Roman Majewski und Emma Stratmann. Foto: LTT/Ken Werner
Die Tübinger Effi mit den beiden Männern in ihrem Leben, Major Crampas und Baron Innstetten (von links): Sebastian Fink, Roman Majewski und Emma Stratmann.
Foto: LTT/Ken Werner

TÜBINGEN. Vom explosiven Überschwang zur melancholischen Nachdenklichkeit: Wirbelt die gerade 17 gewordene Titelfigur zu Beginn des zweieinhalbstündigen Stücks »Effi, ach Effi Briest« am LTT noch euphorisch verspielt auf Inlineskates über die Bühne, so liegt sie am Ende im Schoß ihrer Freundin. Am Boden. Müde, aber gereift. Kann da Vanillesoße helfen? Fest steht: »Deine Story handelt nicht von Männern« – das macht die unter anderem auch als Erzählerin, Musikerin und Amme auftretende Roswitha der blonden Effi klar – und auch nicht von Glück. Aber anders als in Theodor Fontanes Roman »Effi Briest« besteht die Chance, dass sie weitergeht.

Wovon also handelt diese Story? Wie in Effis Lieblingsbuch »Anna Karenina« von einer jungen Frau, die ihren gesamten gesellschaftlichen Status verliert, bloß weil sie ihren Mann betrügt?

Musikerin und Major als Gefährten

In der LTT-Version von Moritz Franz Beichls dramatischer Überschreibung des Klassikers verweigert die lebenshungrige Effi (Emma Stratmann) zunächst sogar »kapitalistische Fußgefängnisse«. Doch will auch der Gen-Z-Wildfang bei aller Gendervielfalt die perfekte Frau werden. »Zuhören und nicken.« Bald trägt sie zwar keine so horrende Perücke wie die andern, aber einen steifen Kopfschmuck à la Nofretete oder Marge Simpson, in Rosa.

Mama (Susanne Weckerle) und Papa Briest (Andreas Guglielmetti) machen sich schon Gedanken, was aus Effi wird, versinken aber in libidinöser Selbstverwirklichung und bleiben am Ende feige. Der linkisch-langweilige spätere Ehemann Innstetten (Roman Majewski) möchte sich durchaus über das »penistragende Geschlecht« erheben. Er akzeptiert in der von der Hamburger Regisseurin Meera Theunert neu geschriebenen Hochzeitsnacht gar Effis Nein zu gewaltsamer Penetration, scheitert aber an seiner Fantasielosigkeit.

Effi (Emma Stratmann) am Rand auf Inlineskates. Ihr Ehemann in spe (Roman Majewski) steht vor dem visuellen Seufzer »Ach Effi« u
Effi (Emma Stratmann) am Rand auf Inlineskates. Ihr Ehemann in spe (Roman Majewski) steht vor dem visuellen Seufzer »Ach Effi« und seinem nächsten Ausrutscher, umrahmt von Vater Briest (Andreas Guglielmetti) und Mutter Briest (Susanne Weckerle). Foto: LTT/Ken Werner
Effi (Emma Stratmann) am Rand auf Inlineskates. Ihr Ehemann in spe (Roman Majewski) steht vor dem visuellen Seufzer »Ach Effi« und seinem nächsten Ausrutscher, umrahmt von Vater Briest (Andreas Guglielmetti) und Mutter Briest (Susanne Weckerle).
Foto: LTT/Ken Werner

Auch wenn Effi verbal ihre Mutter spiegelt, so sind doch die Musikerin und der Major ihre wahren Gefährten: Denn die abgeklärte Roswitha (nicht nur stimmlich toll: Robi Tissi Graf) und den sensiblen Beau Crampas (Sebastian Fink) verbindet die Fähigkeit, Gefühle zu zeigen. Auch Unsicherheit. So bieten sie Resonanzräume, in denen die Heldin wachsen kann. Über Reue und Scham hinaus. Zur Wut.

Dicht am Heute

Der österreichische Autor und Nestroy-Preisträger Beichl reduziert in seiner Effi-Entstaubung das Personal, passt das zeitlose Thema an heutige Lebenswirklichkeiten an, indem er moderne Identifikationsfiguren schafft, die flotten Dialoge und komischen Elemente herausschält. Auch Regisseurin Theunert, die mit Laura Robert (Bühne), Annabelle Gotha (Kostüme) und Christopher Ramm (Musik) ein eingespieltes Team bildet, kennt ihren Fontane aus dem Effeff: Glitzerfolie und alusilbrig schimmernde Mäntel für die Wassersymbolik, runde rotierende Elemente fürs Rondell, sogar die efeuumrankte Platane senkt sich – zum Dahinterpinkeln – ins minimalistische Set. Eine schiefe Ebene ermöglicht bedeutsame Verrenkungen, Akrobatik, Ausrutscher. Zu den wenigen Original-Zitaten kommen zigfache Andeutungen, die aufzuschlüsseln Spaß macht.

So erschafft die junge Truppe am LTT aus der 2022 uraufgeführten Gesellschaftssatire – wie 2024 am Theater Augsburg musikalisch ergänzt – eine bunte, schrille, aber vor allem im zweiten Teil auch tiefgründige Komödie. Stratmann überzeugt zwischen Zerbrechlichkeit und Kraft, Übermut und Reflexion. Guglielmetti begeistert mit kräftezehrenden Clownerien und Flöte, Majewski mit mimischem Slapstick. Höhepunkte der Inszenierung sind eine Geburtsszene und das Duell hilflos rivalisierender Männer. Frech, jung, antipatriarchal: Diese »Effi« funktioniert. Das bestätigten bei der Premiere Lacher und stehende Ovationen. (GEA)

»Deine Story handelt nicht von Glück« singt Gefährtin Roswitha (Robi Tissi Graf) der Titelheldin Effi (Emma Stratmann) ins Ohr.
»Deine Story handelt nicht von Glück« singt Gefährtin Roswitha (Robi Tissi Graf) der Titelheldin Effi (Emma Stratmann) ins Ohr. Foto: LTT/Ken Werner
»Deine Story handelt nicht von Glück« singt Gefährtin Roswitha (Robi Tissi Graf) der Titelheldin Effi (Emma Stratmann) ins Ohr.
Foto: LTT/Ken Werner