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Aktuell Spielplan

Totentanz und Liebesbotschaften in Tübingen

Das Tübinger Zimmertheater widmet sich in den kommenden Monaten dem Thema Zeit

Bei der Spielplanvorstellung (von vorn nach hinten): das Intendantenduo Dieter und Peer Mia Ripberger, Schauspielerin Lauretta v
Bei der Spielplanvorstellung (von vorn nach hinten): das Intendantenduo Dieter und Peer Mia Ripberger, Schauspielerin Lauretta van de Merwe, Dramaturgin Jana Gmelin und Schauspielerin Eva Lucia Grieser. FOTO: STRÖHLE
Bei der Spielplanvorstellung (von vorn nach hinten): das Intendantenduo Dieter und Peer Mia Ripberger, Schauspielerin Lauretta van de Merwe, Dramaturgin Jana Gmelin und Schauspielerin Eva Lucia Grieser. FOTO: STRÖHLE

TÜBINGEN. Theater, »das versucht, am Puls der Zeit zu sein und einen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten«, will das Tübinger Zimmertheater seinem Publikum auch in diesem Herbst und Winter wieder bieten. In einer To-do-Liste, die die Intendanten Dieter und Peer Mia Ripberger dem neuen Programmheft vorangestellt haben, schreiben sie zum Thema Gesellschaft: »Sei Dir der Besonderheiten, der politischen Verwicklungen, der Konfliktlinien, aber auch Deiner Privilegien bewusst und verliere nicht den Kopf!«

»ITZ about time« haben die Theatermacher als Motto über das erste Halbjahr der neuen Theatersaison geschrieben. »ITZ« steht wie immer für »Institut für theatrale Zukunftsforschung« und damit jenen Anspruch, den die beiden Ripbergers mit Beginn ihrer gemeinsamen Intendanz im Jahr 2018 formuliert haben. Und Fragen, die »time«, Zeit, und unser Verhältnis zu ihr betreffen, prägen die Stücke, die sie in den kommenden Monaten uraufführen wollen.

Als Saisoneröffnungspremiere wird am 24. September in der Spielstätte Löwen »Liebe in Zeiten der Schichtarbeit« (Regie: Magz Barrawasser) gezeigt. Basierend auf einem Deutschlandfunk-Feature gibt das dokumentarische Stück von Marcel Raabe und Manuel Waltz Einblicke in Arbeits- und Beziehungswelten liebender Menschen. Ein Notizheft von 1988 spielt dabei eine Rolle, das die Entrümpelung eines leer stehenden Hauses zutage förderte: »Ein junges Paar versucht, mit handschriftlichen Liebesbotschaften Kontakt zu halten. Der asynchrone Takt der Schichtarbeit zwingt sie auseinander, obwohl sie täglich in derselben Küche essen, im selben Bett schlafen und mit demselben Kugelschreiber ins selbe Heft schreiben«, heißt es in der Ankündigung.

Neue Ensemblemitglieder

Die Ensemblemitglieder Eva Lucia Grieser, Roman Pertl, Lauretta van de Merwe und Morris Weckherlin spielen in dem Stück. Grieser und van de Merwe sind neu dabei – für die weitergezogenen Schauspielerinnen Anaela Dörre und Lisette Holdack ins Zimmertheater-Team gekommen.

Eva Lucia Grieser ist in Köln aufgewachsen und hat am Mozarteum in Salzburg Schauspiel studiert. Am Staatsschauspiel Dresden gehörte sie zur Besetzung der Volker-Lösch-Inszenierung von »Der Tartuffe oder Kapital und Ideologie«, die in diesem Jahr zum Berliner Theatertreffen eingeladen war. Richtig gutes Theater, sagt sie bei der Spielplanvorstellung in Tübingen, sei für sie – aus Zuschauersicht – Theater, von dem sie nach Hause gehe und an das sie »vielleicht direkt am ersten Abend, vielleicht auch erst ein oder zwei Wochen später immer wieder denken muss und von dem im besten Fall Bilder oder Momente noch zwei Jahre, zwanzig Jahre später bei mir aufploppen, weil mich irgendwas daran nicht loslässt«.

Lauretta van de Merwe ist in Amsterdam geboren. Sie hat dort und in Zürich Schauspiel studiert und international für Theater und Fernsehen gearbeitet. Demnächst ist sie in der Serie »Legacy« zu sehen. Sie habe gehört, wie außergewöhnlich das Theater sei, das am Zimmertheater gemacht wird, sagt sie auf die Frage von Peer Mia Ripberger, was sie überzeugt habe, nach Tübingen zu kommen. »Ich liebe es sehr, Stückentwicklungen zu machen.« Auch seien die Strukturen am Haus, »wie das Theater aufgebaut ist, wie man miteinander umgeht, wie miteinander kommuniziert wird, sehr außergewöhnlich in der Theaterlandschaft«. Das gefalle ihr.

Für die zweite Uraufführung der Spielzeit, »Hotel of Change«, verwandelt sich die Spielstätte Löwen ab 5. November in eine Art Sanatorium für ausgebrannte Idealistinnen und Idealisten. Es handelt sich um eine internationale Koproduktion mit dem ungarischen Theaterkollektiv Stereo Akt rund um Regisseur Martin Boross – mit lokalen Aktivistinnen und Aktivisten. Gespielt wird auf Englisch. Ab Dezember tourt die Produktion quer durch Europa.

Rowohlt-Autorin Laura Naumann entwickelt für und mit dem Zimmertheater einen neuen Theatertext: »Abschied Atmen oder Nicht mein Feuer«, der ab 26. November gezeigt wird und als Totentanz auf eine überhitzte Welt die Klimakatastrophe behandelt. Morris Weckherlin mimt in dem Solo einen ins Grübeln geratenden Alleinunterhalter. Regie führen wird Magdalena Schönfeld.

Kurz vor dem vierten Advent, am 17. Dezember, bringt das Zimmertheater »Die Kinder der Zeit« heraus. In dem Stück, das Peer Mia Ripberger gerade schreibt und das er auch selbst inszenieren wird, begegnen sich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft am Totenbett eines Vaters. Angekündigt ist eine »Allegorie auf die Zeit als fantasievolle Familiengeschichte«.

Kooperationen mit Reutlingen

Als Wiederaufnahmen im Zimmertheater-Programm finden sich »Das Universum bleibt ’ne Nullnummer« von Peer Mia Ripberger und »BTW Wagner – Siegfried, bist du’s?« vom Musiktheater-Duo OMG Schubert. Weiterhin gibt es jeden Mittwoch um 20 Uhr das Gesprächsformat »sITZung« zu Themen des Spielplans. Jeder Probenstart öffnet mit einem Symposium: künftig samstags von 11 bis 13 Uhr.

Zimmertheater-Dramaturgin Jana Gmelin weist darauf hin, dass Ensemblemitglieder regelmäßig in der »Blauen Stunde« in der Reutlinger Stadtbibliothek lesen – im Wechsel mit Schauspielerinnen und Schauspielern anderer Theater immer donnerstags um 17 Uhr. Außerdem gibt es ein Kooperationsprojekt mit dem Kunstmuseum Reutlingen. So wird am 5. und 26. November jeweils um 17 Uhr unter dem Titel »Wort+Werk« ein literarischer Gang durch die Ausstellung »Vera Leutloff: Farbe in Bewegung« im Kunstmuseum Reutlingen/konkret angeboten. Zu den Arbeiten der Düsseldorfer Künstlerin trägt Roman Pertl ausgesuchte Texte vor, die für die Anwesenden weitere Bedeutungsräume aufschließen sollen.

Nach der Premiere der Produktion »Liebe in Zeiten der Schichtarbeit« im Löwen öffnen sich am 24. September ab 22.30 Uhr im Zimmertheater in der Bursagasse die Türen zu einer von Bella Ziegler kuratierten Spielzeiteröffnungsparty. Es wird die erste dieser Art seit 2019 sein. Coronabedingt musste die Sause in den vergangenen zwei Jahren aussetzen.  (GEA)

ZIMMERTHEATER-PREMIEREN

Am Zimmertheater Tübingen feiern bis zum Jahresende folgende Stücke Premiere: »Liebe in Zeiten der Schichtarbeit« von Marcel Raabe und Manuel Waltz (24. September, Spielstätte Löwen); »Hotel of Change« von Stereo Akt (5. November, Löwen); »Abschied Atmen oder Nicht mein Feuer« von Laura Naumann (26. November, Zimmertheater); »Die Kinder der Zeit« von Peer Mia Ripberger (17. Dezember, Zimmertheater). (GEA) www.zimmertheater-tuebingen.de