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Neuer Intendant will am Tübinger Zimmertheater etwas bewegen

Die Zeiten sind herausfordernd. Intendant Thomas Bockelmann begegnet dem Sparzwang am Tübinger Zimmertheater mit Elan und Pragmatismus.

In der GEA-Redaktion am Reutlinger Burgplatz: Der Tübinger Zimmertheater-Intendant Thomas Bockelmann.
In der GEA-Redaktion am Reutlinger Burgplatz: Der Tübinger Zimmertheater-Intendant Thomas Bockelmann. Foto: Frank Pieth
In der GEA-Redaktion am Reutlinger Burgplatz: Der Tübinger Zimmertheater-Intendant Thomas Bockelmann.
Foto: Frank Pieth

REUTLINGEN/TÜBINGEN. Dass der Mensch nur da ganz Mensch ist, wo er spielt, dieses Schiller-Wort aus den »Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen« ist für Thomas Bockelmann, den neuen Intendanten des Tübinger Zimmertheaters, ein wichtiges Lebensmotto. Auf der Theater-Homepage steht denn auch groß in grünen, gelb und blau umrandeten Lettern das Wort »spielen«, wobei das »i« und das »l« animiert aus der Reihe hüpfen und sich den i-Punkt wie einen Ball zuspielen. Mit »Komm ins Offene« hat Bockelmann, der von 1988 bis 1993 schon einmal Intendant des Tübinger Zimmertheaters war, der Spielzeit zudem ein Hölderlin-Wort als Motto gegeben.

Nun sitzt er in der GEA-Redaktion am Reutlinger Burgplatz und erzählt. Sein Elan, seine Theaterbegeisterung werden spürbar. Er spricht aber auch über die Einschränkungen, die der Tübinger Sparkurs mit sich bringt. Sagt, dass er an den Häusern, an denen er Verantwortung trug, immer bemüht war, eine schwarze Null zu schreiben. Das ist auch diesmal sein Ziel. Aber es werde herausfordernd.

Verkleinertes Ensemble

Drei Stellen sind am Haus gestrichen worden, weil das Zimmertheater ab Januar 26 Prozent weniger Zuschuss von der Stadt Tübingen bekommt. Das Ensemble umfasst nur noch drei statt vier Schauspielerinnen und Schauspieler und wird bei Bedarf über Gastverträge aufgestockt. Zudem steht Bockelmann, der gelernter Schauspieler ist, selbst auf der Bühne. Mit George Taboris »Mutters Courage«, das er in einer eigenen Inszenierung seit drei Jahrzehnten mit Sigrun Schneider-Kaethner spielt, hat er die Spielzeit Mitte September eröffnet. Das Stück ist weiterhin im Zimmertheater zu sehen. Ebenso wie »Patient Zero 1« von Marcus Peter Tesch (in der Spielstätte Löwen), ein von Magdalena Schönfeld inszeniertes Stück, das in einer queeren WG zwischen HIV- und Corona-Pandemie spielt.

Im Gespräch gibt sich Bockelmann selbstkritisch, sagt, dass er die Spielzeit und damit seine Intendanz wohl etwas »zu ambitioniert« begonnen habe. Er habe verkannt, dass das Semester in Tübingen noch gar nicht begonnen hat. Dabei hat er mit »Patient Zero 1« doch gerade ein junges, studentisches Publikum im Blick. Entsprechend gibt es bei den Zuschauerzahlen noch Luft nach oben.

Sigrun Schneider-Kaethner als Elsa Tabori und Thomas Bockelmann als George Tabori in »Mutters Courage«.
Sigrun Schneider-Kaethner als Elsa Tabori und Thomas Bockelmann als George Tabori in »Mutters Courage«. Foto: Klinger
Sigrun Schneider-Kaethner als Elsa Tabori und Thomas Bockelmann als George Tabori in »Mutters Courage«.
Foto: Klinger

Als zweite Inszenierung bringt der 70-Jährige das von ihm 2020 am Staatstheater Kassel herausgebrachte Schauspiel »Sturm« von William Shakespeare mit nach Tübingen. Am 2. Mai soll das Stück am Zimmertheater starten, dann mit dem früheren Theater-Lindenhof-Co-Intendanten Bernhard Hurm in der Rolle des Prospero.

Vorher noch soll ein Stück, in dem der Versuch unternommen wird, Gott zu therapieren (»Oh mein Gott!« von Anat Gov, Premiere: 14. November), auf die Bühne kommen. Auch werden Fabienne Dürs »Geisterhaus« (Uraufführung am 17. Januar) und Suzie Millers »Prima Facie« (20. März) gespielt. Außerdem will Bockelmann zusammen mit dem Gitarristen Christoph Denoth weiter in musikalisch-literarischen Soireen in Erscheinung treten. Sein Ziel ist es, mit dem Zimmertheater-Angebot in der laufenden Spielzeit über 7.000 Zuschauerinnen und Zuschauer zu erreichen.

Die Ensemblemitglieder Johanna Engel, Jel Woschni und Stefan Herrmann (von links) im Stück »Patient Zero 1«.
Die Ensemblemitglieder Johanna Engel, Jel Woschni und Stefan Herrmann (von links) im Stück »Patient Zero 1«. Foto: Tobias Kopp
Die Ensemblemitglieder Johanna Engel, Jel Woschni und Stefan Herrmann (von links) im Stück »Patient Zero 1«.
Foto: Tobias Kopp

Die städtische Bühne tut sich schwer, Bühnentechniker zu finden. »Wir helfen uns derzeit mit Werkstudenten aus, die allerdings nicht mehr als 20 Stunden pro Woche arbeiten dürfen«, sagt Bockelmann. Dass man trotz des Sparkurses viermal pro Woche spielen kann, sei auch dem Zimmertheater-Freundeskreis zu verdanken. Dessen Mitglieder kümmern sich sonntags um die Tickets und den Barbetrieb.

Bockelmann war mit seiner ersten Intendanz überhaupt - er leitete später unter anderem die Städtischen Bühnen Münster und das Staatstheater Kassel - 1988 in Tübingen ins kalte Wasser gesprungen. Er habe damals Teile einer Schauspielschulklasse aus Köln an den Neckar geholt. Das Ensemble wohnte teilweise im Zimmertheater, was das Haus nach Bockelmanns Wahrnehmung zu einer Art »Psychozentrifuge« machte. Er selbst sei damals jung und anfangs überfordert gewesen. Gleichwohl habe man - insbesondere mit dem Sommertheater in französischem Militärsperrgebiet - beachtliche Zuschauerzahlen gehabt. Nicht zuletzt, weil viele neugierig auf den ihnen unbekannten Ort mitten in Tübingen waren, wie Bockelmann vermutet. Seine Inszenierung von Thomas Braschs Stück »Mercedes« am Zimmertheater wurde 1990 bei den Baden-Württembergischen Theatertagen in Heidelberg als beste Inszenierung ausgezeichnet.

Offeneres Tübingen

Er erlebe die Stadt heute als merklich internationaler und weltoffener als in den 80er- und 90er-Jahren, sagt der gebürtige Lüneburger. Am Schauspiel schätzt er besonders das »Ephemere«, also die Flüchtigkeit dieser Kunst. Schauspielerinnen und Schauspieler müssten sich komplett öffnen können. Dazu sei ein geschützter Raum für sie nötig - und nicht Druck. »Sie brauchen Luft unter die Haxen und eine entspannte Probenatmosphäre - eine spielerische, in der etwas Neues entstehen kann.« (GEA)