REUTLINGEN. Schon im hochemotionalen Maestoso-Einstieg in Felix Mendelssohn Bartholdys Symphonie-Kantate »Lobgesang« machte Martin Künstner am Pult des KonzertChors Reutlingen und des Ebinger Kammerorchesters deutlich, dass er den Elan dieses Stücks leidenschaftlich angehen und es zu plastischer Gestalt modellieren würde. Bei der Aufführung in der Reutlinger Auferstehungskirche legte er Wert auf Kontrastfreude bei kultivierter Klangfülle. Chor und Orchester entfalteten intensiv die Binnendynamik des Stücks, beachteten Mendelssohns feinsinnige Spielvorschriften wie »con moto« oder »un poco« und sorgten auch in heiklen Passagen wie etwa dem Pizzicato-Accompagnement der Bläser im Mittelteil des Eingangssatzes für die nötige Präzision.
Für die verschiedenen Stilebenen des Werks bewiesen Künstner und die Ausführenden ein gutes Gespür. Die innigen Choralabschnitte ließen kitschige Frömmelei nicht aufkommen. Die Anmut des im Gestus des romantischen Operngebets gefassten Adagio religioso berührte, und die dramatisch zugespitzten Passagen, die schon Wagners fünf Jahre später entstandenen »Tannhäuser« ahnen lassen, haben Dirigent und Ensembles zupackend umgesetzt.
Orchester als Gegengewicht
Im Finale nahm Künstner die von Mendelssohn bewusst zwittrige Gattungs-Zuordnung einer »Sinfoniekantate« wörtlich und setzte mit dem Orchester ein starkes Gegengewicht zum Chor. Wo manch andere Dirigenten bloß »begleiten«, verzahnte er das gesungene Wort und den vokalen Klang zu kompakter Einheit. Dabei erwies sich der KonzertChor Reutlingen als engagierte Frau- und Mannschaft mit ausgeprägtem Gestaltungswillen in allen Stimmgruppen. An diesem komplexen Werk wurde erkennbar hart gearbeitet. Die auch seitens der anspruchsvollen Tempi des Dirigenten stark geforderten Sängerinnen und Sänger hatten sich ihren Schlussapplaus redlich verdient.
Mendelssohn wollte mit seiner Musik die zugrunde liegenden Bibeltexte sinnlich erfahrbar machen, ganz im Sinne des zu seiner Zeit immer wichtiger genommenen Verhältnisses von Kunst und Religion. Was den Solisten ein hohes Maß an textdeutlicher Deklamation abverlangt. Alle drei agierten mit vorbildlicher Diktion. Die hell timbrierte Sopranistin Susan Eitrich jubelte hymnisch über das der Dunkelheit gewichene Licht. Die gehaltvolle Mezzosopranistin Mirjam Kapelari verband sich schön mit ihr im Duett und zeichnete intensiv die Hoffnung auf das göttliche Wirken nach. Und der metallisch-markante Tenor Philipp Nicklaus meisterte souverän seine drei Rufe an den Hüter der Nacht, nach dem Höhepunkt der letzten Steigerung im mezza di voce verklingend. Er wäre auch ein schöner Walther in Wagners »Tannhäuser«. (GEA)

