TÜBINGEN. Dizzy Krisch spielt virtuos das Vibrafon und präsentiert seine Musik sehr gut gelaunt, mit sehr eigenwilligem Humor, am Samstag vor Silvester im Tübinger Club Voltaire. Krisch folgt mitunter einer seltsamen Muse und erfindet Untertitel, für eigene und fremde Stücke. Wie er zu diesen Titeln kommt – er sagt, er weiß es nicht. Eines der Stücke hat er also genannt: »Kafka. Esst mehr Karamellbonbons«, ein anderes: »Das Wogen der Wipfel«. Es trägt im Original den Titel »Walz« – und es beginnt mit einem ruhigen, melodischen Motiv, das Karoline Höfler auf dem Kontrabass variiert, ehe hell swingend Dizzy Krisch auf dem Vibrafon einsetzt, Dieter Schumacher zurückhaltend einen Rhythmus einbringt.
Krisch, Höfler und Schumacher sind das VIP Vibraphone Trio. Dizzy Krisch war viele Jahre Vorsitzender des Jazzclubs Tübingen, zog vor mehr als 40 Jahren in die Stadt, war Mitinitiator der Tübinger Jazz- und Klassiktage, trat auf mit Größen der deutschen und internationalen Szene. Nun feiert er mit seinem Trio aufs neue Jahr zu und der Club Voltaire ist ausverkauft, schon längst. Das Vibrafon steht im Vordergrund an diesem Abend, aber Karoline Höfler und Dieter Schumacher sind ebenfalls herausragende Musiker, die viel Raum erhalten und gemeinsam mit Dizzy Krisch ein sehr abwechslungsreiches, oft überraschendes und eben auch verschmitztes musikalisches Bild entstehen lassen.
Von Miles Davis bis Gilbert Bécaud
Sie spielen Stücke aus Dizzy Krischs Feder und halten sich, eignen sie sich fremdes Material an, nicht nur an den Kanon der bekannten Jazz-Standards. Neben Miles Davis (Untertitel: »Die Marder feiern trotz der Kälte«) kommt in ihrem Repertoire auch ein Stück von Gilbert Bécaud vor – »What Now My Love« von 1961, Französisch »Et maintenant«. Im Original schon rhythmisch prägnant wird es für Dizzy Krischs Trio ein Sprungbrett hinein in weite Improvisationen, bei denen alle Stärken der Musiker sich deutlich zeigen: Dieter Schumacher, der manchmal auch am Schlagzeug explodieren kann, trommelt hier erst den Bolero, während Karoline Höflers Bass sehr dichte, elastische Netze knüpft und Dizzy Krisch die Melodie des Chansons beginnt, aus diesem romantischen Anfang immer jazzigere Höhenflüge spinnt.
Die »Meronymie«, eine Musik, die ihren Titel der Sprachwissenschaft verdankt, wird von der ganzen Gruppe vorgestellt - Dizzy Krisch, Karoline Höfler und Dieter Schumacher lesen die lexikalische Definition des Begriffs (»... ist eine paradigmatische hierarchische semantische Relation …«) überlappend, so, dass sich ein echtes akademisches Wortwirrwarr ergibt. Was folgt, ist eine quirlige Nummer, ein Stückchen Avantgarde-Jazz mit scharfen Schlagzeugsalven, kurzen Melodiefragmenten, einem ruhigeren Teil kurz vor dem Ende – ein gekonnter Streich. Fast lautmalerisch, geräuschhaft lauscht das Trio dem Vogelgesang nach, kehrt ganz zuletzt, in der dringlich erbetenen Zugabe dann, zurück zum Popsong und spielt, mit viel Temperament, Louis Armstrongs »What A Wonderful World«. (GEA)