TÜBINGEN. In Fantasy-Romanen kommt es vor, dass Protagonisten eines unnatürlichen Todes sterben. Der Autor, sofern er Tad Williams heißt, denkt vielleicht schon hundert Seiten zuvor darüber nach, ein Buch zu beenden, indem er einen Speer auf seinen Helden schleudern lässt, was der Held selbstverständlich überleben muss. Der Autor hat also vorgesorgt und lange eine Szene vorbereitet, in der eine dritte Person ins Spiel kommt, die sich in die Flugbahn wirft, den Helden des Buches rettet. Manchmal aber gewinnt Tad Williams die Figur, die anstelle des Helden den Speertod sterben soll, so lieb, gibt ihr so viel Freiheit, sich zu entwickeln, dass er auch sie nicht opfern will. »Deshalb«, sagt er am Montagabend im Oberen Saal des Tübinger Museums, »habe ich so viele Figuren.« Wer weiß, wozu man sie gebrauchen kann.
Tod und Leiden, Schrecknisse und Monster, Krieg und Gemetzel fehlen nicht in jenen Büchern, die ihre Leser in archaische, vorindustrielle Zeiten entführen. Tad Williams, geboren im März vor 68 Jahren in San Jose, Kalifornien, gibt zu, dass dieser Teil seiner Profession ihm nicht der liebste ist. »Ich bin kein Serienmörder!«, versichert er – und erklärt, dass es ihm auch keine Freude bereite, fiktive Personen zu ermorden.
Ein uferloser Erzähler
Allerdings: Bei seinem guten Freund George ist er sich da nicht so sicher. Gemeint ist George R. R. Martin, der die Romane schrieb, auf denen die TV-Serie »A Game of Thrones« beruht. Wer diese Serie gesehen hat, der weiß, weshalb Williams am Wohlwollen ihres Autors seinen Figuren gegenüber zweifelt.
Williams wurde bekannt durch die Romane der »Otherland«-Saga, die in virtuellen Science-Fiction-Welten spielt, und Romane, die er in einem fiktiven Kontinent namens Osten Ard ansiedelte. Er ist ein uferloser Erzähler, einer, der unzählige Handlungsstränge aufbaut und verknüpft. Seine Bücher zählen oft bis zu tausend Seiten, und er hat viele Bücher geschrieben. In Tübingen liest er zuerst einen kurzen Abschnitt seines aktuellen Buches »Die Kinder des Seefahrers«, erschienen zwei Tage zuvor in zwei Bänden – dann beantwortet er Fragen.
Kenntnisreiches Publikum
Sein Publikum ist angesichts der Tatsache, dass es sich um eine englischsprachige Lesung handelt, groß, es kennt sein Werk sehr gut. Jede Frage genügt, um aus Williams einen Strudel aus Erklärungen, Anekdoten, Überlegungen, Beispielen, Verknüpfungen hervorbrechen zu lassen. Nach zwei Stunden erst geht er dazu über, seine Bücher zu signieren.
Den Aufbau seiner Welten, ihre Religionen, Historien, Charaktere, könnte Williams mutmaßlich die ganze Nacht erläutern. In Tübingen erleben seine Fans einen Autor, der sprüht vor Energie, an weit ausholenden Gesten nicht spart und markant eine Passage seines Buches von einem Handy abliest, in der es um eine Höhle, einen Leichnam und eine Frau mit angespitzten Zähnen geht. Sie erfahren dass er Handlungsgerüste im Kopf durchspielt, ehe er zu schreiben beginnt. Sie wissen nun, dass zu seinen Vorbildern T. H. White, J.R.R. Tolkien, Mervyn Peake, Michael Moorcock, Ray Bradbury, aber auch Thomas Pynchon und Kurt Vonnegut gehören. Und sie wissen, dass er nicht schreiben kann, nachdem er die Musik von Elvis Costello gehört hat. Dessen Texte ihn aber so sehr beeinflussen, dass er nur noch im Ton von Costello schreiben kann. (GEA)

