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Das Theater Lindenhof in Melchingen begibt sich an den »Ursprung der Welt«

Frauen, die wissen, wie's geht: Das Theater Lindenhof bricht ein Tabu, lässt Hebammen zu Wort kommen. »Am Ursprung der Welt« handelt von fundamentalen Geschehnissen.

Hebammen plaudern: Linda Schlepps, Rino Hosennen, Hannah Im Hof.
Hebammen plaudern: Linda Schlepps, Rino Hosennen, Hannah Im Hof. Foto: Kalle Kalmbach
Hebammen plaudern: Linda Schlepps, Rino Hosennen, Hannah Im Hof.
Foto: Kalle Kalmbach

BURLADINGEN-MELCHINGEN. Jeder ist ihnen schon begegnet, kaum einer erinnert sich daran: den Hebammen. Dabei liegt ihr Beruf, liegen die Probleme, mit denen sie kämpfen, zumeist im Dunkeln. Im Theater Lindenhof erzählt nun das neue Stück »Am Ursprung der Welt«, wie es im Untertitel heißt, »von Hebammen und ihren Geschichten«.

Zu dritt stehen sie auf der Bühne, erzählen und sind unablässig beschäftigt. Den Zuschauern bleibt bis zuletzt ein Rätsel, was sie da tun: Die Hebammen falten Handtücher, umwickeln sie, legen sie ab, überziehen ihre Handtuchpäckchen mit nassem Papier. Konzentriert auf ihre geheimnisvolle Arbeit plaudern sie, geben Anekdoten zum Besten, mal heiter, mal sehr emotional, manchmal verstörend. Klar wird an diesem Abend sehr früh schon, dass das Sprechen über die Arbeit der Hebammen immer ein Sprechen über den weiblichen Körper ist. Ein Körper, der in einer von Männern bestimmten Gesellschaft mit einem Tabu belegt ist. Oder es gibt unausgesprochene Regeln, die vorschreiben, auf welche Weise über diesen Körper zu sprechen sei. Das Theater bricht mit dem Tabu. So wird »Am Ursprung der Welt« auch zu einem politischen Stück.

Ein Stück, drei Interviews

Die Idee dazu kam aus dem Ensemble des Theater Lindenhof. Die Schauspielerin Ilknur Bahadir leistete externe Hilfe, führte die Melchinger Darsteller ein in eine Technik des Interviews, mit der sie alltägliche Menschen mit ihren Geschichten und ihrer Sprache auf die Bühne bringt. Auch Rino Hosennen, Hannah Im Hof und Linda Schlepps, die nun in Melchingen zu Hebammen werden, führten Interviews. Der Text von »Am Ursprung der Welt« setzt sich zusammen aus den Erzählungen von drei wirklichen Hebammen, die gänzlich, auch in ihren Kontexten, anonymisiert wurden. Möglich, wahrscheinlich sogar, dass sie bei der Premiere des Stückes am Freitagabend im Theater sitzen. Sie geben sich nicht zu erkennen.

»Am Ursprung der Welt« ist so natürlich ein belehrendes Stück, eines, das aufklären will. Langweilig wird das nicht – denn erstens ist das Thema so faszinierend wie erhellend. Und zweitens ermöglicht es die Technik des Interviews, den Stoff über drei lebhaft dargestellte Charaktere mit vielen Eigenarten zu vermitteln. Linda Schlepps spielt hier eine ganz resolute, bodenständige Hebamme. Hannah Im Hof eine, die weit emotionaler, idealistischer auftritt. Rino Hosennen schließlich ist eine Hebamme, die sich in trockenem, sehr schwäbischem Ton ernste Gedanken macht, über Leben und Tod, und darüber, wie all das zusammenhängt.

Achtung, Geburtskanal!

Drei Figuren mit ihrem jeweils ganz eigenen Ton bringen die Hebammen auf die Bühne. Dabei ergeben sich ungemein komische Momente – wenn Linda Schlepps im spitzen Ton erzählt, wie sie versucht, Männern einen eher nüchternen Blick aufs weibliche Geschlecht nahezubringen: »Im Moment ist das keine Scheide, keine Schamlippen, sondern es ist ein Geburtskanal. Sie sollen versuchen, das zu trennen. Bei manchen hat’s geklappt, die fanden das auch ganz witzig, aber der Großteil will von da unten einfach nix mitkriegen«, berichtet sie. Und zieht sogleich her über Frauen, die ihre Schwangerschaft als Krankheit betrachten.

Rino Hosennen derweil erklärt frank und frei: »Es sind ja fast immer Frauen, die Kinder kriegen.« Die Partner oder Partnerinnen gehören für diese Hebamme freilich auch immer dazu. Und sie, die Hebamme, übt Kritik an einem System, das von Ärzten bestimmt ist: »Frauen wissen, wie’s geht, und sie brauchen vielleicht Begleitung.« Schließlich wird im Stück auch sehr direkt die Praxis der Gynäkologie kritisiert. Und viele Übergriffe werden ausgesprochen, die in diesem Bereich stattfinden. Ganz anders der Ton jedoch, wenn Hannah im Hof von einer Wassergeburt berichtet: »Du konntest einfach gucken, wie sich dieses Kind ins Wasser hinein entwickelte.«

Zuletzt eine Venus

Das seltsame Gebilde, an dem die Hebammen so eifrig arbeiten, während sie erzählen, erweist sich zuletzt als eine große Nachbildung der Venus vom Hohlefels, einem Frauenbildnis en miniature aus Elfenbein, älter als 30.000 Jahre, gefunden 2008 in Schelklingen am Fuß der Schwäbischen Alb, nicht weit von Melchingen. (GEA)