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Uni Tübingen: Wie der innere Kompass funktioniert

Wissenschaftler der Uni Tübingen entdecken anatomische Organisationsprinzipien der Schaltkreise im Hirn

Kompass und Karte: Wie sie bei der Orientierung im Gehirn abgebildet werden, wirft noch zahlreiche Fragen auf.  FOTO: UNI TUEBIN
Kompass und Karte: Wie sie bei der Orientierung im Gehirn abgebildet werden, wirft noch zahlreiche Fragen auf. FOTO: UNI TUEBINGEN
Kompass und Karte: Wie sie bei der Orientierung im Gehirn abgebildet werden, wirft noch zahlreiche Fragen auf. FOTO: UNI TUEBINGEN

TÜBINGEN. Bei der räumlichen Orientierung spielen äußere Landmarken wie ein Kirchturm oder ein gelbes Haus an der Ecke eine Rolle, aber auch ein innerer Kompass, den spezialisierte Nervenzellen im Gehirn bilden. Diese Kopfrichtungszellen, die auf die Blickrichtung reagieren, geben noch viele Rätsel auf. Nun hat ein Team der Uni Tübingen herausgefunden, wo diese Zellen genau sitzen, wie sie mit anderen Bereichen des Gehirns verschaltet sind und welche Mechanismen ihre Aktivität unterstützen.

Möglicherweise haben die Wissenschaftler den Ort im Gehirn entdeckt, wo die Informationen des inneren Kompasses mit denen aus den äußeren Landmarken zusammenlaufen. Geleitet wurde das internationale Forschungsteam von Patricia Preston-Ferrer vom Institut für Neurobiologie und dem Centrum für Integrative Neurowissenschaften (CIN).

In Module aufgeteilt

»Die Kopfrichtungszellen wurden schon vor mehr als 30 Jahren im Gehirn von Nagetieren entdeckt. Sie verfolgen die Bewegung des Tiers im Raum, so entsteht dort sozusagen eine Abbildung des inneren Kompasses«, erklärt Patricia Preston-Ferrer. »Wenn man verstehen will, wie Nervenzellen im Gehirn arbeiten, muss man sie zunächst sichtbar machen«, setzt sie hinzu. Um die Informationsverarbeitung im Gehirn – die Software – zu verstehen, müsse man die zugrunde liegenden Verschaltungen im Gehirn – die Hardware – kennen.

Das Forschungsteam machte die Kopfrichtungszellen und die Verschaltung der Nervenzellen untereinander durch einen experimentellen Ansatz unter dem Mikroskop sichtbar. Diese Methode hatte es bereits 2016 entwickelt. Die Kopfrichtungszellen sitzen im sogenannten Presubiculum, einem speziellen Bereich im Kortex, der Hirnrinde.

»Wir waren sehr überrascht, dass das Presubiculum der Maus nicht homogen erscheint, sondern ganz klar in Module aufgeteilt ist«, sagt CIN-Forscher Giuseppe Balsamo. »Wir haben zwei verschiedene Typen gefunden, die sich molekular unterscheiden und auf unterschiedliche Weise mit anderen Gehirnbereichen verbunden waren.« Diese Module entdeckte das Team nicht nur im Gehirn von Nagetieren, sondern entsprechende Strukturen auch im menschlichen Gehirn.

Bei der Markierung individueller Kopfrichtungszellen machten die Forscher zwei Beobachtungen: Erstens fanden sie diese nur in einem Modultyp, was auf eine genaue Organisation von Struktur und Funktion schließen lässt; und zweitens wird dieser Modultyp von zahlreichen Nervenendungen aus einem bestimmten Kern des Hirns gespeist, der an der Verarbeitung von Landmarkeninformationen beteiligt ist. »Wir wissen, dass eine effektive Navigation auf einem inneren Kompass beruht in Verbindung mit visuellen Informationen aus Landmarken«, sagt Professor Andrea Burgalossi, Leiter einer Forschungsgruppe am CIN. »Möglicherweise haben wir den Ort im Gehirn gefunden, an dem der innere Richtungssinn mit den visuellen Informationen für die Navigation zusammengeführt wird.«

Künstliche Abschaltung

Wenn das Team in die Aktivität der Verbindungen künstlich eingriff, verstummten die meisten Kopfrichtungszellen. »Es scheint, als könnten wir durch solche Manipulationen den inneren Kompass abstellen«, sagt Eduardo Blanco-Hernandez. Doch sei ein kleiner Anteil der Zellen aktiv geblieben. »Wir wissen noch nicht, ob die ausgeschalteten und die dauerhaft aktiven Kopfrichtungszellen verschiedene Funktionen haben; doch ist klar, dass der innere Kompass komplexer gebaut ist als gedacht.«

»Wir haben Einblick in grundlegende Organisationsprinzipien der Hirnrinde erhalten«, sagt Preston-Ferrer. Ein modularer Aufbau sei auch in anderen Bereichen des Kortex zu beobachten. »Interessant wäre auch, ob der Bereich bei neurodegenerativen Erkrankungen wie der Alzheimer-Krankheit gestört ist. Denn Probleme mit dem inneren Richtungssinn gehören dabei häufig zu den frühesten Symptomen«, sagt Burgalossi. (u)