TÜBINGEN. Die Amtshandlung am Tübinger Landgericht war eine sachlich-nüchterne Angelegenheit. Richter Sebastian Wiest betrat am Dienstagmorgen um Punkt 8 Uhr den Sitzungssaal 111. Einen leeren Sitzungssaal. Anwesend war nur der GEA-Redakteur, alle Beteiligten hatten auf den Besuch des »Verkündungstermins« verzichtet. Was bei der Anwältin der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA), Katharina Gündel, nicht wirklich überraschte, war die Rechtsanwältin zur Hauptverhandlung zuvor doch eigens aus Berlin angereist. Auf diesen Aufwand verzichtete Gündel nun - wohl auch, weil sie sich ihrer Sache sicher sein konnte. Den Mitgliedern der Künstlergruppe G91 - die zur Hauptverhandlung noch mit vielen Vertretern gekommen waren - hatte deren Anwalt, Dr. Gerd Unger, vom Besuch abgeraten. Vielleicht auch, um den durchaus spirituellen Künstlern den Frust zu ersparen.
Denn was Richter Wiest verlas, war alles andere als im Interesse der Künstlergruppe, die sich gegen die drohende Räumung der früheren Tübinger Panzergarage wehrt. Diese hat die BImA vor mehr als 30 Jahren an die Gruppe um Herbert Rösler (1924-2006) vermietet - seit dessen Tod bewahren die G91er dort dessen vielfältiges künstlerisches Erbe. Doch nach einer Überprüfung der Verkehrssicherheit der Halle, bei welcher ein Ingenieurbüro die Halle begutachtete, wurde Einsturzgefahr festgestellt. Es bestünde eine »erhebliche Gefahr für Leib und Leben« bei einer weiteren Nutzung der Halle, die ohnehin wohl im Zuge des möglichen Baus des Schindhau-Basistunnels abgerissen werden müsste. Die BImA sprach daraufhin ein Betretungsverbot für Ausstellungsbesucher aus und kündigte Ende Januar 2024 den Mietvertrag mit der Künstlergruppe zum 30. September vergangenen Jahres. Eine Miete verlangt die BImA indes seit der Aussprache des Nutzungs- und Betretungsverbotes der Halle nicht mehr, wird aus einem Schreiben der Rechtsanwältin an das Landgericht deutlich, welches dem GEA vorliegt.

»Die Klägerin hat Anspruch auf eine Räumung der Halle«, betonte Richter Wiest in seiner Urteilsverkündung. Sie könne zudem einen Sicherheitstitel in Höhe von 8.000 Euro vollstrecken. Da es sich bei der Halle nicht um Wohnraum handele, benötige die BImA als Eigentümerin »keinen besonderen Grund« zur Kündigung, auch das von Rechtsanwalt Dr. Unger eingebrachte Schikaneverbot würde in diesem Fall »nicht greifen«. Zwar habe die Halle eine besondere Bedeutung für den Verein, das Interesse des Vermieters an der »Rückerhaltung seines Eigentums« wiege aber höher. Auch das mehrmalige Angebot einer Verlängerung der Räumungsfrist spreche gegen Schikane. Auch durch die seitherige Weiternutzung der Halle habe sich der Mietvertrag nicht verlängert. Gegen dieses Urteil kann der Verein »Gruppe 91 Kulturproduktion Herbert Rösler« in Berufung gehen.
Das Problem indes bleibt: Die Künstlergruppe findet keine bezahlbaren Räumlichkeiten, um die Werke Herbert Röslers zu sichern. »Kürzlich war ein Tübinger Spediteur da, wer sich alles angeschaut und uns eine Halle angeboten hat«, erklärt Barbara Michels, alias Linda Li, stellvertretende Vorsitzende des Vereins. »Aber 8.000 Euro Miete im Monat können wir uns nicht leisten.« Sie würden weiter täglich daran arbeiten, die Werke Röslers zu ordnen und die Halle zu leeren, versichert Li. »Und im Winter ist es bestimmt nicht gemütlich, dort auszuräumen.« Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben sei für sie »Segen und Fluch« zugleich, meint die Künstlerin, deren Ratlosigkeit nicht zu überhören ist. Enttäuscht ist die stellvertretende Vereinsvorsitzende auch von der Unistadt. »Ohne uns hätte Tübingen am Ortseingang jahrzehntelang eine unfreundliche, rostige Kiste gehabt.« (GEA)

