TÜBINGEN. Eiweiße oder Proteine bilden einen wesentlichen Teil der menschlichen Ernährung. Bisher werden sie in der Regel mit Fleisch, tierischen Produkten wie Milch und Eiern oder auch aus Pflanzen aufgenommen. Die Erzeugung von Eiweiß, insbesondere die Tierhaltung, verschlingt aber immense Ressourcen und verursacht schwerwiegende Umweltprobleme. Ein Forschungsteam der Uni Tübingen unter der Leitung des Umweltbiotechnologen Professor Lars Angenent vom Zentrum für Angewandte Geowissenschaften hat nun theoretisch untersucht, wie die wachsende Weltbevölkerung unter Umgehung der Tierhaltung mit Proteinen versorgt werden könnte. Geforscht wird dazu auch an der Hochschule Reutlingen (wir berichteten).
Mit dem Ansatz »Power-to-Protein«, bei dem Eiweiße direkt unter Energieeinsatz aus Grundzutaten wie Kohlendioxid und Ammoniak produziert werden, diskutiert das Team theoretische Überlegungen, bestehende Verfahren der industriellen Proteinerzeugung und Berechnungen für dieses Ziel. Es kommt laut einer Mitteilung der Uni zu dem Schluss, dass elektrochemische und biotechnologische Verfahren in Kombination erhebliche Proteinmengen für die menschliche Versorgung liefern könnten – bei vergleichsweise sehr geringem Energieeinsatz.
»Wir befinden uns mit der derzeitigen Nahrungsmittelproduktion in einer vielschichtigen Krise«, sagt Lars Angenent. »Vor allem die Viehhaltung zur Herstellung von tierischem Protein verbraucht viel Landfläche, fossile Rohstoffe, Phosphor und Wasser. Sie führt außerdem zu riesigen Mengen klimaschädlicher Emissionen.« Die Produktion tierischer Proteine sei teuer und für viele Menschen, vor allem in sehr armen Ländern, unerschwinglich. Angenent setzt daher das Ziel, die Proteinproduktion kostengünstig zu gestalten und sie in eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft einzubinden, die ohne fossile Rohstoffe auskommt.
Proteine bestehen aus den chemischen Elementen Kohlen-, Sauer-, Wasser- und Stickstoff. Der menschliche Körper ist jedoch nicht in der Lage, alle Proteinbestandteile aus einfachen Verbindungen selbst zu bilden und muss sie deshalb mit der Nahrung aufnehmen. Die chemische Synthese wäre sehr aufwendig.
Doch es gibt Lebewesen, die von Natur aus sehr große Mengen Proteine bilden, welche in ihrer Zusammensetzung nahrhaft für Menschen sind, vor allem Hefen und Pilze. »Bei den Power-to-Protein-Verfahren haben andere Forscher, aber auch der Gruppenleiter Dr. Bastian Molitor und ich in Tübingen, elektrochemische und biologische Prozesse in unterschiedlicher Weise verkettet. Uns interessiert, wie effizient einzelne Verfahren sind und ob sie sich für unsere Zwecke eignen«, erklärt Angenent.
»Wir haben Ideen und Ansätze geprüft und sehen darin ein großes Potenzial«
Das Tübinger Team konzentrierte sich dabei auf Verfahren, die ohne Lichtenergie und ohne den Einsatz gentechnisch veränderter Mikroben auskommen. Zum Beispiel lässt sich elektrochemisch Strom aus erneuerbarer Energie nutzen, um Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff zu spalten. Bestimmte Bakterien können anschließend den Wasserstoff zu Wasser oxidieren und mit der frei werdenden Energie Kohlendioxid und Ammoniak zu anderen organischen Stoffen umsetzen, welche die Proteinbausteine bilden. Einige der Proteinproduzenten wie Hefe und manche Pilze können vom Menschen direkt verzehrt werden.
Bereits in den 1960er-Jahren hätten sich Forscher Gedanken gemacht, wie aus Ausscheidungen des Menschen in Form von Kohlendioxid und Ammoniak Proteine hergestellt werden können, sagt Angenent: »Dort ging es um eine geschlossene Kreislaufwirtschaft im kleinen Maßstab, um Menschen auf eine lange Raumfahrtmission zu schicken.« Erste industrielle Erfahrungen mit der Proteinherstellung aus einfachen Stoffen und Energie gebe es aus der Produktion von Fleischersatz. »Wir haben Ideen und Ansätze auf eine zügige praktische Weiterentwicklung geprüft und sehen darin ein großes Potenzial. Einer Studie zufolge benötigt man nur rund 2,5 Prozent aller erzeugten Energie, um die Menschen weltweit mit Proteinen aus Power-to-Protein-Verfahren zu ernähren«, sagt er.
Allerdings erfordere eine solche Strategie ein radikales Umdenken. Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft, so der Wissenschaftler, brauche die Menschheit mehr Möglichkeiten zur Erzeugung erneuerbarer Energie und eine Infrastruktur zum Einfangen und Speichern von Kohlendioxid – dem Gas, das heute eher als schädliches Abfallprodukt bekannt ist. Am wichtigsten sei, dass die Landwirte wirtschaftlich gestärkt werden, damit sie sich auf die nachhaltige Produktion von Weizen, Gemüse, Obst, Nüssen und anderen Protein ersetzenden Produkten konzentrieren und zugleich die Natur schützen können. (u)