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Tübinger Wissenschaftler lüften die Tarnkappe von Keimen

Tübinger Wissenschaftler haben herausgefunden, wie sich die gefürchteten, gegen Antibiotika multiresistenten MRSA-Keime, für das Immunsystem unsichtbar machen

Indikatorkulturplatte zum Nachweis von resistenten Bakterien: Die Zahl der Krankheitsfälle mit Erregern, die gegen alle gängigen
Indikatorkulturplatte zum Nachweis von resistenten Bakterien: Die Zahl der Krankheitsfälle mit Erregern, die gegen alle gängigen Antibiotika resistent sind, steigt. Foto: Daniel Karmann/Archiv
Indikatorkulturplatte zum Nachweis von resistenten Bakterien: Die Zahl der Krankheitsfälle mit Erregern, die gegen alle gängigen Antibiotika resistent sind, steigt. Foto: Daniel Karmann/Archiv

TÜBINGEN. Infektionen durch Bakterien wie Staphylococcus aureus verursachen weltweit zahlreiche Todesfälle. In Krankenhäusern gefürchtet sind vor allem die gegen das Antibiotikum Methicillin resistenten Staphylococcus aureus-Stämme, kurz MRSA genannt. Nach einer kürzlich veröffentlichten Untersuchung gab es allein im Jahr 2015 in der EU rund 670 000 Erkrankungen durch multiresistente Erreger. 33 000 Patienten starben.

Forschern der Uni Tübingen und des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) ist nun aber ein Durchbruch bei der Entschlüsselung multiresistenter Krankheitskeime gelungen. Das Team um die Professoren Andreas Peschel und Thilo Stehle konnte Struktur und Funktion eines bislang unbekannten Proteins aufklären, mit dessen Hilfe sich Erreger wie Staphylococcus aureus gegenüber dem menschlichen Immunsystem wie mit einer Tarnkappe schützen.

In aller Regel kommt das Immunsystem mit Krankheitserregern wie Bakterien oder Viren gut zurecht. Bei manchen Keimen aber versagen die Abwehrstrategien des menschlichen Körpers, besonders bei immungeschwächten Patienten. Antibiotika sind gegen diese resistenten Erreger leider wirkungslos. Wirksame Ersatzantibiotika oder ein Impfstoff gegen MRSA sind bislang nicht in Sicht. Wäre der Abwehrmechanismus entschlüsselt, wären neue Therapien gegen die Bakterien möglich.

Umprogrammiert

Die Wissenschaftler konnten nun zeigen, dass viele der besonders häufigen MRSA-Keime ein bislang unbekanntes Protein erworben haben, das dazu führt, dass die Erreger nicht mehr durch Antikörper des Immunsystems erkannt werden. Die Tübinger Wissenschaftler gaben dem Protein den Namen TarP, kurz für »teichoic acid ribitol P«.

»TarP verändert das Muster von Zuckermolekülen auf der Erregeroberfläche auf eine bislang unbekannte Weise«, erklärt Andreas Peschel vom Interfakultären Institut für Mikrobiologie und Infektionsmedizin der Uni Tübingen. »Dies führt dazu, dass das Immunsystem keine Antikörper gegen das wichtigste MRSA-Antigen, die Teichonsäure, bilden kann.« Das Immunsystem werde so nicht nur »blind«. Es verliere auch die wichtigste Waffe gegen den Erreger.

Die Tübinger Forscher gehen davon aus, dass die bakterielle Tarnkappe das Ergebnis einer Auseinandersetzung zwischen den Krankheitserregern und ihren natürlichen Feinden, den sogenannten Phagen, ist. Als Bakteriophagen wird eine Klasse von Viren bezeichnet, die Bakterien befällt, diese als Wirtszelle nutzt und sich von ihnen ernährt. Im vorliegenden Fall haben Phagen offenbar ihren Wirt mithilfe von TarP umprogrammiert und so die Oberfläche des Bakteriums verändert.

Jetzt gibt es eine Basis, um neue Wirkstoffe zu entwickeln, welche die Erreger wieder für das Immunsystem erkennbar machen. »Die Entdeckung von TarP kam für uns völlig überraschend. Sie erklärt sehr gut, warum das Immunsystem oft keine Chance gegen MRSA hat«, sagte Professor Thilo Stehle vom Interfakultären Institut für Biochemie. »Die nun vorliegenden Ergebnisse werden uns helfen, bessere Therapien und Impfstoffe gegen die Erreger zu entwickeln.« Beteiligt waren weitere Wissenschaftler aus Dänemark, Deutschland, Großbritannien, Italien, den Niederlanden und Südkorea. (u)