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Tübinger Modellprojekt vor dem Aus: Was Palmer, Federle und Kremsner dazu sagen

Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer hatte sich bis zuletzt eingesetzt und gehofft, doch genützt hat es wohl nichts. Die Stadtverwaltung geht davon aus, dass das Corona-Vorzeigeprojekt wegen der Bundes-Notbremse bald Geschichte ist.

Corona Modellprojekt Tübingen
Passanten gehen in der Fußgängerzone an Marktständen vorbei. Foto: Bernd Weißbrod/dpa
Passanten gehen in der Fußgängerzone an Marktständen vorbei. Foto: Bernd Weißbrod/dpa

TÜBINGEN. Menschen in Tübingen können sich seit dem 16. März an mehreren Stationen kostenlos testen lassen - mit den Bescheinigungen der Ergebnisse, den Tagestickets, können sie dann in Läden, zum Friseur oder auch in Theater und Museen gehen. Doch damit ist wohl bald Schluss. Die Stadt Tübingen geht davon aus, dass sie den Modellversuch nach dem Beschluss des Bundestags zur bundesweiten Corona-Notbremse vom Mittwoch vorzeitig beenden muss. Das teilt eine Sprecherin des Rathauses auf Nachfrage des GEA am Donnerstagvormittag mit. Bis zum Wochenende wird der Versuch in jedem Fall fortgesetzt. »Wie es dann weitergeht, darauf warten wir«, sagt die Sprecherin. Am Donnerstag hat auch der Bundesrat dem Infektionsgesetz zugestimmt. Mit der Unterschrift des Bundespräsidenten wird das Gesetz dann voraussichtlich in der kommenden Woche rechtskräftig.

Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer zeigte sich hinsichtlich einer möglichen Fortsetzung des Projekts wenig optimistisch: »Ab Montag ist also auch bei uns alles dicht. Theater, Handel, Schulen und Kitas«, schrieb er am Mittwochabend auf seiner Facebook-Seite. Die Inzidenz im Landkreis sei mit 180 eben viel zu hoch, so Palmer. Er machte darauf aufmerksam, dass die Inzidenz in der Stadt Tübingen seit zwei Wochen jedoch konstant unter 100 sei. »Der Anstieg findet nur außerhalb Tübingens statt und hat jetzt den Wert von 240 erreicht, während wir bei 91 stehen«, schrieb der OB. Der zuletzt für die Stadt gemeldete Wert lag laut dem Sozialministerium am Mittwoch bei 91,8. Der Wert für den Landkreis wurde mit 181,5 angegeben.

Tübingen wird keine Stadtkreisgründung anstreben

Palmer hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel im Vorfeld über die große Diskrepanz zwischen den beiden Inzidenzen informiert. Ihre Antwort: »Das ist ein interessanter Punkt. Da müssten Sie Herrn Kretschmann nochmal fragen, ob sie eine kreisfreie Stadt werden können.« Obwohl der OB die Idee sympathisch findet, wird Tübingen jedoch keine Schritte in diese Richtung unternehmen, teilte Pressesprecherin Claudia Salden auf GEA-Nachfrage mit. Zumal eine Stadtkreisgründung als Lösung sehr lange dauern würde, wie das Beispiel Reutlingen zeigt, merkte Palmer auf Facebook an.

Die Tübinger Notärztin Lisa Federle ist sehr enttäuscht und traurig darüber, dass das von ihr mitunterstützte Modellprojekt nun vor dem Aus steht. »Es wäre besser gewesen, wenn man als Grundlage für die Entscheidung die Inzidenz in der Stadt genommen hätte anstatt die im Landkreis Tübingen«, sagte Federle der Deutschen Presse-Agentur. Die Menschen hätten nun keinen Anreiz mehr, sich testen zu lassen. »Somit können wir auch die Tests nicht mehr in der Form durchführen, wie wir das schon seit Monaten machen«, erklärte Federle.

Das Vorzeigeprojekt war bereits zwei Mal verlängert worden und hatte bundesweit für viel Aufsehen gesorgt, aber auch für einige Kritik. So hatte der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach einen Stopp solcher Versuche wie in Tübingen gefordert. »Sie geben das falsche Signal«, schrieb Lauterbach auf Twitter. Das Tübinger Projekt zeige, dass unsystematisches Testen mit Öffnungsstrategien die schwere dritte Corona-Welle nicht aufhalten werde. »Testen statt Lockdown ist Wunschdenken, genau wie Abnehmen durch Essen.«

Der Tübinger Infektiologe Peter Kremsner hatte das Projekt als Direktor des Instituts für Tropenmedizin an der Uniklinik Tübingen wissenschaftlich begleitet. »Das Ende des Projekts ist nicht gerechtfertigt. Aus meiner Sicht sollte das Projekt weitergehen«, sagte Kremsner. Mit Blick auf die Bundesnotbremse fügte er hinzu: »Ich sehe nicht ein, warum jetzt wieder alle eingesperrt werden.« (GEA/dpa)