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Tübinger im Wettlauf um die Wirkfähigkeit von Antibiotika

Forscher haben eine neuen Klasse von Antibiotika untersucht, die beim Kampf gegen multiresistente Krankheitserreger gute Ergebnisse erzielen

Indikatorkulturplatte zum Nachweis von resistenten Bakterien: Die Zahl der Krankheitsfälle mit Erregern, die gegen alle gängigen
Indikatorkulturplatte zum Nachweis von resistenten Bakterien: Die Zahl der Krankheitsfälle mit Erregern, die gegen alle gängigen Antibiotika resistent sind, steigt. Foto: Daniel Karmann/Archiv
Indikatorkulturplatte zum Nachweis von resistenten Bakterien: Die Zahl der Krankheitsfälle mit Erregern, die gegen alle gängigen Antibiotika resistent sind, steigt. Foto: Daniel Karmann/Archiv

TÜBINGEN. Ein Forschungsteam der Unis Tübingen und Göttingen sowie des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung hat die Wirkungsweise einer neuen Klasse von Antibiotika untersucht, die gegen multiresistente Krankheitserreger hochwirksam ist. Wie Nadine Schilling vom Institut für Organische Chemie der Uni Tübingen erklärte, beeinträchtigen die sogenannten Fibupeptide die Energieversorgung der Bakterienzelle, was zu deren Tod führt. Tübinger Wissenschaftler hatten 2016 in einer weithin beachteten Studie ein erstes Fibupeptid entdeckt, das von unserem Mikrobiom selbst gebildet wird. Die Wissenschaftler nannten den Stoff Lugdunin, nach seinem Produzenten, dem Bakterium Staphylococcus lugdunensis, das die menschliche Nasenschleimhaut besiedelt. Lugdunin hat eine ungewöhnliche chemische Struktur und ist damit möglicherweise ein Prototyp für eine völlig neue Klasse von Antibiotika.

Es wirkt unter anderem gegen die für Menschen besonders gefährlichen Methicillin-resistenten Bakterien der Art Staphylococcus aureus (MRSA). Besonders gefürchtet ist MRSA in Kliniken, da er häufig immungeschwächte Patienten befällt. Nach einer Studie gab es in der EU allein im Jahr 2015 rund 670 000 Infektionen durch multiresistente Erreger, an deren Folgen 33 000 Patienten starben. Die Forscher haben nun verschiedene Lugdunin-Substanzen mittels chemischer Synthese produziert und die für die Wirkung von Lugdunin notwendigen chemischen Strukturelemente bestimmt. Damit bekam man Hinweise auf den Wirkmechanismus des Antibiotikums. »Jede Bakterienzelle braucht zum Leben eine sogenannte Transmembranspannung«, erklärt Schilling. »Das heißt, für den Krankheitserreger ist es entscheidend, dass sich die Konzentrationen elektrisch geladener Teilchen im Inneren der Zelle und im umgebenden Milieu unterscheiden.« Fibupeptide wie Lugdunin sind dazu in der Lage, positiv geladene Wasserstoffionen durch die Membran zu transportieren und den Ladungsunterschied aufzuheben. »Dadurch kommt es zu einer Art Energiestillstand«, sagt die Forscherin. Die Bakterienzelle stirbt.

Enormes Interesse an Strukturen

Die Entwicklung von Antibiotikaresistenzen macht die Behandlung von bakteriellen Infektionen zunehmend schwieriger. Viele der zurzeit verwendeten neuen Antibiotika unterscheiden sich nur geringfügig von solchen, gegen die schon mehrere Resistenzen bekannt sind. Womöglich ist es nur eine Frage kurzer Zeit, bis auch jene neuen Medikamente unwirksam werden. »Daher ist das Interesse an neuen antibiotischen Strukturen wie dem Lugdunin und deren Wirkungsweise enorm«, betont Stephanie Grond, Professorin für Organische Chemie und Naturstoffforschung an der Uni Tübingen. Lugdunin habe eine einzigartige chemische Struktur, erklärt Grond. Es bestehe aus einem Ring von Aminosäurebausteinen (eine Peptidstruktur), in den eine charakteristische ringförmige Schwefel-Stickstoffverbindung, Thiazolidin genannt, wie eine Schmuck-Schnalle (lateinisch fibula) eingebaut ist. Der besondere Thiazolidinring gehört zu den Bausteinen im Lugdunin, die für die antibakterielle Wirkung unverzichtbar sind.

Um die für die antibiotische Wirkung notwendigen Strukturen des Lugdunins zu identifizieren, haben die Forscher eine Vielzahl von Abkömmlingen hergestellt. Nach und nach wurden Teile der chemischen Struktur verändert und jeweils die antibiotische Aktivität bestimmt. Um zu klären, ob sich die Fibupeptide zukünftig als Wirkstoffkandidaten für die therapeutische Anwendung eignen, sind in Zukunft umfangreiche Studien erforderlich. Ob Lugdunin und verwandte Stoffe in Zukunft wirksam und sicher zur Behandlung von Infektionen mit multiresistenten Keimen eingesetzt werden können, wollen die Forscher auch im Rahmen des Tübinger Exzellenzclusters »Kontrolle von Mikroorganismen zur Bekämpfung von Infektionen« herausfinden. (em)