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Studie mit Tübinger Beteiligung: Beethovens Biografie muss umgeschrieben werden

Erstmals haben Forscher das Genom des Komponisten sequenziert. Biografien müssen umgeschrieben werden

Die »Stumpff-Locke« in einem Labor des Max-Planck-Instituts  für Menschheitsgeschichte.  FOTO: TILIAKOU
Die »Stumpff-Locke« in einem Labor des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte. FOTO: TILIAKOU
Die »Stumpff-Locke« in einem Labor des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte. FOTO: TILIAKOU

TÜBINGEN. Eine Studie bringt neue Erkenntnisse über die Krankheiten des Komponisten Ludwig van Beethoven und wirft Fragen über seine jüngste Abstammung und Todesursache auf. Einer der Hauptautoren ist Professor Johannes Krause vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, der auch am Institut für Naturwissenschaftliche Archäologie der Universität Tübingen forscht.

Bisher bekannt war, dass Beethoven seine Brüder in einem 1802 verfassten Brief bat, seine Krankheit nach seinem Tod durch seinen Arzt untersuchen zu lassen und das Ergebnis zu veröffentlichen. Seitdem herrscht Unklarheit über den Gesundheitszustand und die Todesursache des Bonner Komponisten, denn die Aufzeichnungen von Beethovens Arzt wurden nie gefunden.

Um mehr über seine Krankheiten und die Todesursache herauszufinden, hat ein internationales Forschungsteam nun moderne archäogenetische Untersuchungsmethoden genutzt. Die Forschungsergebnisse zeigen, dass die DNA von fünf Haarsträhnen – die alle aus den letzten sieben Lebensjahren Beethovens stammen – einer einzigen Person zugeordnet werden können. Die genetischen Daten dieser Person weisen auf eine Herkunft hin, die mit der historisch gut erforschten Herkunft Beethovens übereinstimmt. Das Ziel der Studie ist es, neue Erkenntnisse über Beethovens Gesundheitsprobleme zu erlangen. Dazu zählte ein fortschreitender Hörverlust, der in einem Alter von etwa 25 bis 29 Jahren einsetzte und schließlich dazu führte, dass der Komponist im Jahr 1818 de facto taub war. Das Team untersuchte auch mögliche genetische Ursachen für Beethovens chronische Magen-Darm-Beschwerden und eine schwere Lebererkrankung, die 1827 zu seinem Tod führte.

Schon in seinen Bonner Jahren litt der Komponist unter »elenden« Magen-Darm-Beschwerden, die sich in Wien fortsetzten und verschlimmerten. Im Sommer 1821 erlitt Beethoven das erste Mal eine Gelbsucht, an der er mindestens ein weiteres Mal in seinem Leben erkrankte und, die als ein Symptom seiner Lebererkrankung bekannt ist.

Leberzirrhose gilt seit Langem als die wahrscheinlichste Ursache für seinen Tod im Alter von 56 Jahren. Das Forschungsteam konnte keine genetische Ursache für Beethovens Taubheit oder seine Magen-Darm-Probleme feststellen. Sie entdeckten jedoch eine Reihe von bedeutenden genetischen Risikofaktoren für eine Lebererkrankung. Außerdem fanden sie Hinweise auf eine Infektion mit dem Hepatitis-B-Virus.

Das Forschungsteam vermutet, dass Beethovens Hepatitis-B-Infektion eine Mitursache für die schwere Lebererkrankung des Komponisten gewesen sein könnte, die im Zusammenspiel mit dem Alkoholkonsum und seiner genetischen Veranlagung zum fortschreitenden Leberversagen und damit zum Tode führte.

Beethovens Schwerhörigkeit wurde mit mehreren möglichen Ursachen in Verbindung gebracht, darunter auch Krankheiten, die in unterschiedlichem Maße genetisch bedingt sind.

Keine Laktoseintoleranz

Eine genetische Erklärung für Beethovens Magen-Darm-Beschwerden konnte ebenfalls nicht gefunden werden, aber anhand der genomischen Daten kommen die Forscher zu dem Schluss, dass Gluten- und Laktoseintoleranz höchstwahrscheinlich als Ursachen ausgeschlossen werden können. Ebenso das Reizdarmsyndrom, gegen das bei Beethoven sogar ein gewisser genetischer Schutz festgestellt werden konnte.

»Wir können nicht mit Sicherheit sagen, woran Beethoven gestorben ist, aber wir können jetzt zumindest das Vorhandensein eines erheblichen erblichen Risikos für eine Leberzirrhose und eine Infektion mit dem Hepatitis-B-Virus belegen«, sagt Johannes Krause. »Wir können auch mehrere andere, weniger plausible genetische Ursachen ausschließen.« Insgesamt führte das Team Authentifizierungstests an acht Haarproben durch, die aus öffentlichen und privaten Sammlungen im Vereinigten Königreich, Kontinentaleuropa und den USA stammen. Dabei entdeckten die Forscher, dass mindestens zwei der Haarlocken nicht von Beethoven stammten, darunter eine berühmte Locke, die der 15-jährige Musiker Ferdinand Hiller vom Kopf des damals kürzlich verstorbenen Komponisten abgeschnitten haben soll.

Frühere Analysen der »Hiller-Locke« unterstützten die Vermutung, dass Beethoven an einer Bleivergiftung litt, die zu seinen gesundheitlichen Beschwerden, einschließlich seines Hörverlusts, beigetragen haben könnte.

Die fünf Proben, die als authentisch identifiziert wurden und von ein und derselben Person stammen, gehören einem privaten Sammler, dem Mitglied der American Beethoven Society, Kevin Brown und dem Beethoven-Haus in Bonn. Beethoven übergab eine der Locken (jetzt in Browns Sammlung) im April 1826 an den Pianisten Anton Halm mit den Worten »Das ist mein Haar!«.

Beethovens gesamtes Genom wurde anhand einer weiteren Probe aus Browns Sammlung, der »Stumpff-Locke«, sequenziert, die sich als die am besten erhaltene Probe erwies. Das Team fand zwischen der aus der Stumpff-Locke extrahierten DNA und Menschen, die im heutigen Nordrhein-Westfalen leben, die stärkste Verbindung, was auch mit Beethovens bekannter Herkunft seiner Vorfahren übereinstimmt.

Das Team analysierte das Erbgut von lebenden Verwandten Beethovens in Belgien, konnte aber bei keinem von ihnen eine Übereinstimmung mit dem Erbgut des Komponisten finden.

Einige von ihnen haben laut genealogischen Studien einen gemeinsamen väterlichen Vorfahren mit Beethoven aus den späten 1500er- und frühen 1600er-Jahren, doch ihr Y-chromosomales Erbgut stimmte nicht mit dem Y-Chromosom überein, das in den authentischen Haarproben gefunden wurde.

Das Forschungsteam kam zu dem Schluss, dass dies wahrscheinlich das Ergebnis von mindestens einem außerehelichen Ereignis – ein Kind aus einer außerehelichen Beziehung – in Beethovens direkter väterlicher Linie war.

Die Studie legt nahe, dass dieses Ereignis in der direkten väterlichen Linie zwischen der Zeugung von Hendrik van Beethoven in Kampenhout, Belgien, um 1572 und der Zeugung von Ludwig van Beethoven sieben Generationen später, 1770, in Bonn, Deutschland, stattgefunden hat.

Obwohl zuvor Zweifel an der Vaterschaft von Beethovens Vater geäußert worden waren, weil es keinen Taufeintrag gab, konnten die Forschenden nicht feststellen, in welcher Generation dieses Ereignis stattfand. (eg)