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Aktuell Urgeschichte

Studie der Uni Tübingen: Klima formt die Größe von Körper und Gehirn

Fossilien aus einer Million Jahren zeigen laut einer Studie der Universitäten Tübingen und Cambridge: Je kälter eine Region ist, desto schwerer sind die Menschen.

Ausflügler auf der Zollernalb
Ausflügler in der Winterlandschaft auf der Zollernalb. Foto: Jürgen Meyer
Ausflügler in der Winterlandschaft auf der Zollernalb.
Foto: Jürgen Meyer

TÜBINGEN. Klima und regional vorherrschende Temperaturen haben über einen Zeitraum von einer Million Jahre wesentlich die Körpergröße des Menschen beeinflusst und waren somit ein Haupttreiber in der menschlichen Evolution. Je kälter das Klima, desto schwerer die Menschen: Zu diesem Schluss kommt eine Studie der Universitäten Tübingen und Cambridge.

Ein interdisziplinäres Forschungsteam aus Archäologen, Anthropologen, Ökologen und Klimamodellierern unter Leitung von Dr. Manuel Will von der Uni Tübingen hatte die Körper- wie auch Gehirngrößen von über 300 Fossilien der Gattung Homo weltweit gesammelt und sie mit rekonstruierten Klimadaten abgeglichen.

Schwankendes Gewicht

Unsere Spezies Homo sapiens entstand vor etwa 300 000 Jahren in Afrika. Die Gattung Homo existiert schon viel länger und umfasst die Neandertaler und andere ausgestorbene, verwandte Arten. Ein entscheidendes Merkmal der Evolution unserer Gattung ist der Trend zur zunehmenden Körper- und Gehirngröße. Im Vergleich zu früheren Arten wie Homo habilis ist Homo sapiens 50 Prozent schwerer, sein Gehirn etwa dreimal so groß. Was aber solche Veränderungen bewirkt hat, ist bislang umstritten.

In der aktuellen Studie kombinierte das Forschungsteam über viele Jahre gesammelte Größen-Daten mit einer neu entwickelten Rekonstruktion der regionalen Klimaverhältnisse weltweit bis zu einer Million Jahre vor unserer Zeit. So ließ sich bestimmen, in welchem spezifischen Klima die jeweils untersuchten Menschen gelebten hatten. Die Studie konnte so erstmals das Verhältnis zwischen Klimaverhältnissen und der Körper- und Gehirngröße unserer Gattung analysieren.

Die Ergebnisse zeigen, dass das durchschnittliche Körpergewicht der Menschen zwischen einer Million und 10 000 Jahren vor heute erheblich schwankte und eine klare Korrelation mit Klimaverhältnissen aufweist: Menschen in kälteren Regionen waren tendenziell schwerer. Dies bot einen besseren Puffer gegen kältere Temperaturen, ein Zusammenhang, der so auch schon bei Säugetieren festgestellt wurde: Ein Körper verliert weniger Wärme, wenn seine Masse im Verhältnis zu seiner Oberfläche groß ist.

»Unsere Daten deuten darauf hin, dass das Klima – insbesondere die Temperatur – der Haupttreiber für die Veränderungen des Körpergewichts in der letzten Million Jahre war«, sagt Ko-Autor Dr. Professor Andrea Manica vom Institut für Zoologie der Universität Cambridge. Auch an heute lebenden Menschen sei zu sehen: »Menschen in wärmeren Klimazonen sind tendenziell leichter gebaut als Menschen in kälteren Klimazonen.«

Schrumpft Gehirn durch Technik?

Anders ist es bei der Größe des Gehirns. Auch hier untersuchten die Forscher den Einfluss von Umweltfaktoren für die Gattung Homo, fanden allerdings nur schwache Korrelationen vor und keinen Gleichschritt mit der Entwicklung des Körpergewichts. Tendenziell waren die Gehirne der Menschen größer, die in Lebensräumen mit wenig Vegetation, wie offenen Steppen und Grasland, lebten, aber auch in Gebieten, die über Jahrtausende ökologisch stabil waren.

In Kombination mit archäologischen Daten liegt nahe, dass Menschen aus diesen Lebensräumen große Tiere jagten: eine komplexe Aufgabe, die die Evolution größerer Gehirne vorangetrieben haben könnte. Die Forscher schließen, dass für das Wachstum des Gehirns also eher Faktoren, die nicht-umweltbedingt sind, eine Rolle spielten, wie eine vielfältigere Ernährung und zusätzliche kognitive Herausforderungen durch ein zunehmend komplexes soziales Leben und höher entwickelte Technologie. »Eine entscheidende Erkenntnis unserer Studie ist, dass unterschiedliche Klimafaktoren die Gehirn- und Körpergröße bestimmen. Sie stehen nicht unter demselben evolutionären Druck. Die Umwelt hatte einen viel größeren Einfluss auf unser Körpergewicht als auf unsere Gehirngröße«, sagt Erstautor Dr. Manuel Will von der Abteilung für Ältere Urgeschichte und Quartärökologie der Uni Tübingen. »In stabilen und offenen Gebieten gibt es einen indirekten Umwelteinfluss auf die Gehirngröße: Die Menge an Nährstoffen aus der Umwelt musste ausreichen, um Erhaltung und Wachstum unserer großen und besonders energiehungrigen Gehirne zu ermöglichen.«

Auch heute entwickeln sich unsere Körper- und Gehirngröße noch weiter. Der menschliche Körperbau passt sich weiterhin unterschiedlichen Temperaturen an. Dabei leben Menschen mit größerem Körperbau heute im Schnitt in kälteren Klimazonen. Die Gehirngröße wiederum scheint laut bekannter Studien bei unserer Spezies seit Beginn des Holozäns vor etwa 11 650 Jahren zu schrumpfen. Die zunehmende Abhängigkeit von Technik, wie zum Beispiel die Auslagerung komplexer Aufgaben an Computer, könnte die Gehirne – aber nicht zwingend die Intelligenz des Menschen – in den nächsten paar tausend Jahren sogar weiter schrumpfen lassen. (u)