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Sportmediziner aus Tübingen sieht Bewegungsmangel im Lockdown kritisch

Schon im ersten Lockdown haben sich die Menschen weniger bewegt und zugenommen. Der Leiter der Tübinger Sportmedizin sieht darin ein Problem. Auch ein Personal Trainer aus Stuttgart, der die Corona-Erkrankung überstanden hat, sieht weitere gesundheitliche Gefahren während des Lockdowns.

Bewegungsmangel, einseitige Belastung und Stress führen oft zu Rückenleiden. Foto: Arno Burgi/Archiv
Bewegungsmangel, einseitige Belastung und Stress führen oft zu Rückenleiden. Foto: Arno Burgi/Archiv
Bewegungsmangel, einseitige Belastung und Stress führen oft zu Rückenleiden.
Foto: Arno Burgi/Archiv
TÜBINGEN/STUTTGART. Etwa ein Kilo haben die Deutschen im ersten Lockdown zugenommen. Das geht aus einer Studie des Robert-Koch-Instituts zur gesundheitlichen Lage der Bevölkerung zu Beginn der Covid-19-Pandemie hervor. Als Gründe für die Gewichtszunahme wurde ungesundes Essen sowie mangelnde Bewegung angegeben. Nun ist der Breitensport zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres zum Erliegen gekommen. Schwimmbäder und Fitnessstudios haben geschlossen, Sportvereine dürfen kein Training mehr anbieten.

»Der Bewegungsmangel durch den Lockdown ist ein Problem«, sagt Prof. Dr. Andreas Nieß, ärztlicher Direktor der Sportmedizin der Uni Tübingen. Bereits vor dem Lockdown hätten sich zu viele Menschen zu wenig bewegt. Jetzt kommen dazu auch noch einige Hobbysportler, die ihrem Training nicht mehr nachgehen können wie zuvor, weil den Vereinen oder Fitness-Studios die Trainingsgrundlage auf unbestimmte Zeit entzogen worden ist. Der Sportmediziner sieht zudem mangelnde Trainingsangebote im Freien. Dabei hätte Nieß viele Ideen, wie die Gemeinden fantasievoll Alternativen für Sport-Fans schaffen könnten: Eine ungenutzte Parkhausetage könnte beispielsweise als Freiluft-Fitness-Bereich genutzt werden. »Da sehe ich auch die Kommunen etwas in der Pflicht«, sagt Nieß. Nichtsdestotrotz sei letztlich jeder für sich selbst verantwortlich, da Sport an der frischen Luft nicht verboten sei. 

Auf Dauer kann die immer neue Verlängerung des Lockdowns und der damit verbundene Bewegungsmangel jedoch zu einer Gefahr für Herzerkrankungen, Adipositas oder Diabetes Typ 2 werden: Der Sportmediziner macht sich Gedanken: »In der Summe gibt es weniger Bewegung, was ein Problem für die Gesundheit ist.« Auch als geheilt geltende Covid-19-Patientinnen und Patienten sollten sich nicht sofort gleich wieder intensiv belasten, empfiehlt Nieß.

»Im Lockdown gibt es viele Risiken für unsere Gesundheit«, sagt Dimitri Rutansky, Personal Trainer und Leiter eines Regionalen Fitness-Studios. Foto: Privat
»Im Lockdown gibt es viele Risiken für unsere Gesundheit«, sagt Dimitri Rutansky, Personal Trainer und Leiter eines Regionalen Fitness-Studios.
Foto: Privat

Das rät auch Dimitri Rutansky, Regionaler Trainingsleiter eines Fitness-Studios in Leinfelden. Er überstand im Sommer die Corona-Erkrankung mit milden Symptomen. Nach einer kurzen Pause hat er wieder mit dem Sport begonnen: »Nachdem ich kein Fieber mehr hatte und mich deutlicher gesünder fühlte, fing ich mit Yoga an. Man kann immer etwas ausprobieren und sich dann langsam täglich oder wöchentlich steigern. Jeder muss auf seinen Körper hören, und das Feedback, welches wir vom Körper bekommen«, erzählt der 31-jährige Personal Trainer. Seine Empfehlung: »Alle sportlichen Aktivitäten sollen erstmal mit dem Arzt abgeklärt werden, vor allem wenn man Corona hatte.«

Außerdem appelliert Rutansky an Menschen, die im Lockdown keine Motivation für Sport finden: »Das ist Sabotage der Gesundheit durch nichts tun. Diabetes, erhöhter Blutdruck, Herzkreislaufprobleme oder Rückenschmerzen können verschlechtert werden«.

Auch wenn das Corona-Virus noch nicht gänzlich erforscht ist, empfiehlt Nieß, dass sich die Sportler nach einer überstanden Corona-Infektion medizinisch untersuchen lassen sollten, bevor sie das Training wieder aufnehmen. Weil es in Zusammenhang mit Corona zu Lungen- und Herzschäden kommen kann, ist ein solcher Medizin-Checkup wichtig. Da der Krankheitsverlauf aber von Mensch zu Mensch variiert, möchten die Mediziner keine allgemeine Aussage über die Entscheidung über die Rückkehr zum Sport treffen.

Personal Trainer Dimitri Rutansky appelliert an Menschen, die im Lockdown keine Motivation für Sport finden: »Das ist Sabotage der Gesundheit durch nichts tun«. Foto: Privat
Personal Trainer Dimitri Rutansky appelliert an Menschen, die im Lockdown keine Motivation für Sport finden: »Das ist Sabotage der Gesundheit durch nichts tun«.
Foto: Privat

Athleten gelten nach jetzigem Kenntnisstand nicht als Risikogruppe für einen ernsthaften Krankheitsverlauf mit irreversiblen Spätfolgen. »Fitte Menschen überstehen eine Corona-Infektion insgesamt vermutlich aber besser als Unfitte«, sagt Nieß. Beispiele, die dagegen sprechen, gibt es nicht viele – aber es gibt sie.

»Ich bin total geschwächt«, gab so Frank Stäbler, Ringer-Weltmeister aus Stuttgart vor Kurzem in einem Interview mit der FAZ zu und schilderte dann die Folgen der Corona-Erkrankung für seine Lunge. 

Weil über das Corona-Krankheitsbild noch so wenig bekannt ist und Sportler verunsichert sind, wenn sie eine Infektion durchgemacht haben, hat Nieß nach dem ersten Lockdown mit anderen Sportmedizinern das wissenschaftliche Positionspapier Return to Sport veröffentlicht. Demnach soll eine lockere Sportpause von etwa zwei Wochen eingelegt werden, bei einem Krankheitsverlauf mit starken Symptomen bis zu einem Monat.

Viele Menschen sind etwa während des Lockdowns auf den Drahtesel umgestiegen: Der Boom im Fahrradgeschäft während der Pandemie in Deutschland ist beispielhaft für den Trend zum Sport im Freien. Menschen, die etwa schon lange sportlich aktiv sind, haben dabei weniger Probleme, sich auf Trainingsformen außerhalb einer Sportstätte umzustellen als ungeübte Sportmuffel. Auch das Homeoffice kommt jenen zu Gute, die gerne Sport treiben wollen: Nieß sagt, dass Menschen im Homeoffice sich den Tagesrhythmus besser aufteilen können und dadurch mehr Sport treiben.

Übrigens: Das SARS-Virus ist inzwischen umfassnd erforscht und dem Corona-Virus ähnlich. Eine Studie von 2003 zeigt: SARS-Betroffenen waren im Schnitt zwei Jahre in ihrer Leistungsfähigkeit eingeschränkt. Ihre Diffusionskapazität, also der Sauerstoffübertritt aus der Lunge, war deutlich verringert. Ärzte stellen sich nun die Fragen, ob solche Schäden irreversibel sind, und ob Patienten mit mildem Corona-Krankheitsverlauf ebenfalls davon betroffen sein könnten. Die Studie aus 2003 sei ähnlich, »aber nicht eins zu eins vergleichbar«, sagt Nieß und fährt fort: »Zumindest aber lässt sie den Schluss zu, dass man damit rechnen muss, dass es auch bei Covid-19 Langzeitschäden geben kann.« Man wisse nicht, in welchem Ausmaß. Über mögliche Langzeitschäden werde man erst in den kommenden Jahren genauer Bescheid wissen. »Man muss es als mögliches Szenario sehen«. (GEA)