ROTTENBURG. Das Schwäbische ist eine Sprache des Sprechens, nicht des Schreibens. Wer es vernimmt und aus dem Schwabenland kommt, hört ein Stück Heimat mit. »I gang hoim« oder »I geh hoim« – beides klingt nach hiesigem Dialekt, aber wie schreibt man’s richtig? Schon an dieser einfachen Frage zeigt sich, warum das Schwäbische auf dem Papier ins Stolpern gerät. Der Dialekt lebt vom Klang, vom Rhythmus, von feinen Lautnuancen – und genau die lassen sich in Buchstaben nur schwer einfangen.
Im Gegensatz zum Hochdeutschen hat das Schwäbische zwar die gleichen Buchstaben und Satzzeichen, aber keine festgelegte Rechtschreibung. Jeder schreibt, wie ihm der Schnabel gewachsen ist – und so entstehen unzählige Varianten. Was in Stuttgart noch »hoim« heißt, wird in Ulm vielleicht schon zu »hoam«.
Doch genau das wird zum Problem, sobald man den Dialekt aufschreiben und lesen will. Wer’s allzu originalgetreu versucht, riskiert, dass nur noch Eingeweihte den Text verstehen. Wer zu sehr glättet, verliert das, was den Dialekt ausmacht – seine Eigenheit, seine Melodie, seinen Witz. Den schmalen Grat zwischen Verständlichkeit und Authentizität in der Tradition von Autoren Thaddäus Troll und Sebastian Blau meistern wenige.
Der Verein Schwäbische Mundart zeichnete am Samstagabend in Rottenburg drei Frauen und drei Männer aus, denen das gelingt. »Wir haben uns mit dem Sebastian-Blau-Preis in die ungeraden Jahre gerettet«, sagte Vorstand Wolfgang Wulz. Denn der vom Verein mit initiierte baden-württembergische Dialektpreis wird wie im vergangenen Jahr erstmals und künftig in geraden Jahren vom Ministerpräsidenten vergeben. Dagegen droht der Blau-Preis in der Aufmerksamkeit im »Dialekt-Länd« unterzugehen, so Wulz. Dabei gab es hochwertige Beiträge und durch Sponsoren gut 10.000 Euro an Preisgeld zu verteilen. In Rottenburg als Geburtsstadt von Josef Eberle überreichte Bürgermeisterin Annette Schwieren die ersten Preise in Erzählung an Luise Besserer und jenen in Lyrik an Jürgen Seibold.
Luise Besserer erzählt von Mädchenschicksal
Sie sind jeweils mit 2.500 Euro dotiert. Über die Vergabe hatte nach den schriftlichen Eingaben eine Fachjury um Pius Jauch bereits zuvor entschieden. Jauch zitierte Thomas Mann: »Ein Schriftsteller ist jemand, für den das Schreiben schwieriger ist als für andere Menschen.« Für schwäbische Schriftsteller sei es gleich »doppelt so schwer«. Für die 180 Zuhörerinnen und Zuhörer war es einfacher, denn die Autoren trugen ihre Beiträge jeweils selbst vor. Rundfunkredakteurin Luise Besserer zum Beispiel tauchte ein in die Vergangenheit. Sie erzählte von harten Arbeitsbedingungen und von einem mutigen 14-jährigen Mädchen, das in einer Textilfabrik tätig ist. Und trotz ihrer jungen Jahre bringt die Protagonistin großen Mut auf, zeigt ihren Chefs Grenzen, als sie die Verleumdung einer Kollegin verlangen: »Des mach i ned«. Die Jury würdigte den Text als »meisterhaft geschildert«. Gewissermaßen in ein therapeutisches Selbstgespräch mit seinem lyrischen Ich ging Jürgen Seibold aus Leutenbach (Rems-Murr-Kreis). Er war früher Zeitungsjournalist und schreibt jetzt Sachbücher und Regionalkrimis. Was ist mit diesem Sehnsuchtsort »Daheim«? Und was mit ihm selbst? »Ich habe das fünfmal gelesen wie bei einer Gedichtinterpretation«, sagte der frühere Deutschlehrer Wulz. »Das ging so in die Tiefe.«
Das Publikum durfte ebenfalls abstimmen und entschied sich eindeutig für Klaus Schmidt aus Esslingen, der gebürtig aus Hayingen am Südrand der Schwäbischen Alb kommt. Er trug ein launiges, auswendig gelerntes Gedicht vor. Ebenfalls in der Kategorie Lyrik wurde die frühere Lehrerin Gabi Weber-Urban aus Gäufelden ausgezeichnet. In der Kategorie Erzählung schaffte es außerdem Schauspielerin Suse Lichtenberger aus Wien ins Finale. Sie kommt ursprünglich aus Nagold und schrieb in ihrem »Gruß daheim« von Begegnungen mit alten Bekannten auf dem Land und viel Wehmut. Und doch: gerade wenn es einem gut geht, kann man nach den Wurzeln graben. Sei es in Stuttgart oder in Wien oder in einer anderen großen Stadt: »Niemand spricht mehr breiten Dialekt«. Richard Bareis aus Starzach-Bierlingen kam gewissermaßen als Lokalmatador ins Finale. Er stammt aus einer alten Metzgersfamilie in Horb. Nach einer Ausbildung zum Landwirt arbeitet Bareis hauptberuflich beim Bauhof der Gemeinde und auf der Kläranlage in Wachendorf. Gekonnt vorgetragen, dichtete Bareis zu einem fünftätigen Ausflug ins Allgäu.
Sportverein singt von der schwäbischen Eisenbahn
Mundart das ganze Wochenende in Rottenburg Konjunktur: am Freitagabend stieg das Mundartfest in Baisingen mit Sprachartist und Musiker Ernst Mantel. Die Sängerabteilung des Sportvereins Baisingen mit dem Lied »Auf der schwäbische Eisebahne« darf dabei nie fehlen. Und die auftretende schwäbische Literatin Susanne Zimmerer bekam im Jahr 2018 den Sebastian-Blau Preis mit ihrem als inneren Monolog vorgetragenen Text »Hoimweh em Schadda«. Am Sonntag war zum Abschluss ein Gottesdienst in schwäbischer Mundart in Oberndorf. Die Finalistenbeiträge des Blau-Preises werden noch in Buchform veröffentlicht. Für alle, die es lesen können wollen.
Zum Preis: Der Sebastian-Blau-Preis ist eine der wichtigsten Auszeichnungen für schwäbische Mundart und Dialektliteratur. Mit dem Preis werden Autoren geehrt, die sich in besonderer Weise um die Pflege und Weiterentwicklung der schwäbischen Sprache verdient machen. Benannt ist er nach Sebastian Blau, dem Pseudonym des Schriftstellers und Journalisten Josef Eberle (1901–1986). Eberle war langjähriger Chefredakteur der Stuttgarter Zeitung und gilt als einer der bedeutendsten schwäbischen Mundartdichter des 20. Jahrhunderts. Mit feinem Humor und sprachlicher Sensibilität brachte er die Eigenheiten des schwäbischen Dialekts auf den Punkt und machte ihn auch außerhalb der Region bekannt. Bewertet werden Originalität, sprachliche Qualität und der kreative Umgang mit dem Dialekt. Besonders geschätzt werden Arbeiten, die zeigen, dass Mundart nicht altmodisch ist, sondern auch aktuelle Themen, Gefühle und Konflikte ausdrucksstark vermitteln kann.

