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»Judenstern« und »N-Wort«: Palmer sorgt für Empörung und verteidigt sich

Boris Palmer verwendet bei der Migrationskonferenz mehrfach das »N-Wort« und sorgt bundesweit für Empörung. Die Hintergründe und was Tübingens Oberbürgermeister zu den Vorfällen sagt.

Boris Palmer
Boris Palmer, Oberbürgermeister von Tübingen. Foto: Marijan Murat
Boris Palmer, Oberbürgermeister von Tübingen.
Foto: Marijan Murat

TÜBINGEN. Äußerungen von Boris Palmer sorgen derzeit mal wieder für Empörung. Der Tübinger Oberbürgermeister verwendet bei einem Vortrag mehrmals das »N-Wort«. Außerdem wird ihm vorgeworfen, den Holocaust in einem Gespräch mit Demonstranten relativiert zu haben. Das sorgt bundesweit für Schlagzeilen und teilweise für heftige Reaktionen in den Sozialen Medien. Doch wie kam es überhaupt zu dem Eklat?

Palmer: »Das ist nichts anderes, als der Judenstern«

Palmer war am Freitagabend bei der Migrationskonferenz an der Goethe-Universität Frankfurt zur Diskussionsrunde »Migration steuern, Pluralität gestalten« eingeladen. Vor der Veranstaltung kam es im Freien zu heftigen Wortwechseln mit Demonstranten. Einige von ihnen hatten den OB mit Parolen wie »Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda« empfangen und ihm vorgeworfen, das »N-Wort« auf seiner Facebook-Seite zu verwenden.

Videoaufnahmen, die bei Twitter veröffentlich wurden, dokumentieren, wie sich Palmer verteidigt. »Ihr beurteilt Menschen anhand von einem einzelnen Wort«, sagt er und ergänzt nach einer kurzen Pause: »Das ist nichts anderes, als der Judenstern.« Zu viel für die ohnehin schon aufgebrachten Studenten. »Was? Hör auf, hör auf« und »Das ist einfach nur Relativierung des Holocausts«, schallt es dem Tübinger Grünen-Politiker (Mitgliedschaft ruht) entgegen. Seine Versuche, sich zu erklären, gehen in den lauten Protesten unter.

Stempel als Nazi und Rassist

Palmer bestätigte auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur, dass die Judenstern-Äußerungen so gefallen sind. »Ich habe die Methode der Protestierer, mir den Stempel als Nazi und Rassist aufzudrücken, niederzuschreien und auszugrenzen, als Vergleich herangezogen«, erklärte Palmer den Kontext aus seiner Sicht. Er habe den Protestierern erklärt, dass Nazis die Gräber seiner Vorfahren mit Hakenkreuzen beschmiert hätten und ihnen entgegnet, dass »ihre Methode der Ächtungen und Ausgrenzung sich nicht vom Judenstern unterscheidet«. Mehr wollte der 50-Jährige dazu am Samstag nicht sagen.

Bei der Veranstaltung im Anschluss an den Disput, erklärte Palmer, wann die Benutzung des »N-Worts« aus seiner Sicht legitim ist, und wann nicht. Zunächst erläuterte er: »Der simple Sprechakt gibt keine Auskunft darüber, ob eine Person ein Nazi ist, oder nicht. Die Frage ist immer die des Kontextes.« Und weiter:  »Wenn ich eine Person, die vor mir steht, als Neger bezeichne, weil sie schwarze Hautfarbe hat, ist es eine justiziable Beleidigung. Brauchen wir auch nicht drüber zu diskutieren.«

Moderator verlässt Veranstaltung

Wenn man aber beispielsweise die Frage debattiere, ob Astrid Lindgrens Roman in Zukunft »Südseekönig« oder »Negerkönig« heißen soll, dann sei das eine vollkommen legitime Verwendung des »N-Wortes«, so Palmer. »Auf der beharre ich und ich lasse mich nicht aus dieser Verwendung des Wortes an sich zum Nazi oder Rassisten stempeln.« Doch genau das passiert aktuell vielerorts im Internet, während der Moderator der Veranstaltung den Raum laut Medienberichten mit den Worten: »Herr Palmer, mit ihnen will ich nichts mehr zu tun haben« verlassen haben soll.

»Skandal«, »unnötig«, »beleidigend«, schreiben Kommentatoren. Manche fordern, Palmers Rausschmiss aus der Partei, andere mahnen, er solle bei seinen Äußerungen mehr Rücksicht auf die Gefühle anderer zu nehmen. Doch es gibt auch Zustimmung für seine Argumente: »Im Duden gibt es auch einen Eintrag zu diesem Wort. Dadurch ist der Duden keine Nazi-Lektüre. Es ist halt der Duden, der dieses Wort im Kontext der reinen Informationsvermittlung über das Wort selbst erwähnt«, kommentiert eine Twitter-Userin.

Tübinger Oberbürgermeister nimmt Stellung

Noch am selben Abend nahm der Tübinger OB auf seiner Facebookseite Stellung zu den Vorfällen und Vorwürfen. »Die Theorie, dass schon ein Sprechakt an sich rassistische Strukturen reproduziere, teile ich nicht«, schreibt er. Das hoch umstrittene Wort gehöre nicht zu seinem aktiven Wortschatz. »Ich benutze es nur, wenn darüber diskutiert wird, ob man schon ein Rassist ist, wenn man es verwendet. Darüber entscheidet für mich der Kontext.«

Welche Rolle der Kontext bei der Verwendung des »N-Worts« spielt, erklärt er mithilfe eines Beispiels aus einem Buch von Dunja Hayali. »In der Münchener S-Bahn werden Jungs mit schwarzer Hautfarbe von Älteren drangsaliert. Alle schweigen dazu, aber ein alter Herr, Ur-Bayer, greift ein: 'Ihr lasst‘s mir den Negerbuam in ruh!'« Der Mann ist laut Palmer zweifelsohne für seine Zivilcourage zu loben, auch wenn er einen veralteten Sprachgebrauch pflegt. »Kontext und Motivation komplett auszublenden ist für Kommunikation tödlich. Deshalb lehne ich das ab.«

Radfahrer, Bahnwerbung und Aogo - immer wieder Kontroversen

Es ist nicht das erste Mal, das dem Tübinger Oberbürgermeister Rassismus vorgeworfen wird. Im April 2018 wettert er gegen einen dunkelhäutigen Fahrradfahrer, weil »der Typ mit nacktem Oberkörper, Kopfhörer und einer unglaublichen Dreistigkeit um die Leute rumgekurvt ist. Sowas gehört sich nicht und für einen Asylbewerber schon dreimal nicht.« Etwa ein Jahr später kommentiert er eine Werbekampagne der Bahn mit den Worten: »Ich finde es nicht nachvollziehbar, nach welchen Kriterien die Deutsche Bahn die Personen ... ausgewählt hat. Welche Gesellschaft soll das darstellen?« Zu sehen waren Menschen mit unterschiedlicher Hautfarbe und Herkunft, darunter Fernsehkoch Nelson Müller, TV-Moderatorin Nazan Eckes und Ex-Formel 1-Star Nico Rosberg.

Den größten Ärger brachte Palmer bis jetzt jedoch der Fall Aogo ein. Im Mai 2021 schreibt er über den Ex-Fußballer bei einer Diskussion auf Facebook: »Der Aogo ist ein schlimmer Rassist, hat Frauen seinen Negerschwanz angeboten.« Später sagt Palmer, die Äußerungen seien ironisch gemeint gewesen. Einige Zeit darauf entschuldigt er sich. Trotzdem sorgten die Sätze bundesweit für Kritik. Ministerpräsident Winfried Kretschmann sagte: »Solche Äußerungen kann man einfach nicht machen. Das geht einfach nicht.« Kurz darauf leiten die Grünen ein Parteiausschlussverfahren ein.

Mitgliedschaft ruht

Dieses endete vor rund einem Jahr mit einem Vergleich. Tübingens Oberbürgermeister und die Südwest-Grünen einigten sich darauf, dass Palmer seine Mitgliedschaft bis Ende 2023 ruhen lassen muss. Das zuständige Schiedsgericht in Stuttgart verzichtete darauf, die Provokationen als parteischädigendes Verhalten einzustufen. Der Kompromiss sieht vor, dass die Partei und Palmer in diesem Jahr darüber sprechen, wie er »zukünftig kontroverse innerparteiliche Meinungen äußern könnte unter Beachtung der Grundsätze und Ordnung der Partei«. (GEA/dpa)