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Hausarzt-Image ist längst veraltet

Zur Zukunft der Allgemeinmedizin: Infoveranstaltung mit Ministerin am Tübinger Uniklinikum

Tauschten sich am Uniklinikum über die Allgemeinmedizin 2.0 aus (von links): Klinik-Vorstand Michael Bamberg, Unirektor Bernd En
Tauschten sich am Uniklinikum über die Allgemeinmedizin 2.0 aus (von links): Klinik-Vorstand Michael Bamberg, Unirektor Bernd Engler, Theresia Bauer und Dekan Bernd Pichler. Foto: Frank Pieth
Tauschten sich am Uniklinikum über die Allgemeinmedizin 2.0 aus (von links): Klinik-Vorstand Michael Bamberg, Unirektor Bernd Engler, Theresia Bauer und Dekan Bernd Pichler.
Foto: Frank Pieth

TÜBINGEN. Das Image des Hausarztes befindet sich im Wandel, das Interesse von Medizinstudenten, die Versorgung der Menschen auf dem Land zu übernehmen, steigt. Das ist nicht nur auf die Digitalisierung in ländlichen Regionen zurückzuführen. Auch die Ausbildung ist deutlich attraktiver geworden. »Wenn wir junge Menschen für die ärztliche Versorgung auf dem Land gewinnen wollen, müssen wir neue Modelle finden«, stellte Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Bündnis90/Die Grünen) bei ihrem Besuch in Tübingen fest.

Der aktuelle Stand sowie Visionen und Strategien für eine zukunftsfähige Allgemeinmedizin standen gestern im Mittelpunkt von Gesprächen am Tübinger Uniklinikum. Die Wertschätzung des Faches übermittelte Bauer mit der Ankündigung, die Allgemeinmedizin um landesweit 150 Studienplätze zu erweitern.

Intellektuelle Herausforderung

Zur Ausbildung gehöre neben Forschung und Praxis auch »eine stärkere Verankerung der Digitalisierung und ihrer Möglichkeiten«, so die Ministerin. Der Beruf des Hausarztes entspreche schon lange nicht mehr dem Klischee eines isolierten, technisch schlecht ausgestatteten und auf ein geringes Wissens-Spektrum begrenzen Mediziners, erklärte Professorin Stefanie Joos, Ärztliche Direktorin am Institut für Allgemeinmedizin und Interprofessionelle Versorgung.

Die Tätigkeit als Hausarzt sei vielmehr intellektuell herausfordernd mit einer breiten Palette an Einsatzmöglichkeiten. Um Nachwuchsmedizinern den Zugang zu erleichtern, müsse man die Allgemein- und Weiterbildung stärken. Zum Beispiel indem der Fokus mehr auf praktische Kompetenzen schon zu Beginn des sechsjährigen Pflichtstudiums gelenkt wird, bevor sich das fünfjährige Fachstudium anschließt.

Digitaler Schub durch Corona

Die Corona-Pandemie habe der Digitalisierung einen Schub gegeben, sagte Professor Michael Bamberg. In der Krisenzeit sei man auf den kontaktlosen Austausch angewiesen gewesen, so der Ärztliche Direktor des Klinikums. Die daraus entstandenen Erfahrungen müsse man weiterentwickeln, ergänzte der neue Dekan der Medizinischen Fakultät, Professor Bernd Pichler.

Die Digitalisierung trage unter anderem durch den Austausch zur Verbesserung der medizinischen Versorgung gerade auf dem Land bei, ist auch die Ministerin überzeugt. Dass der Nachwuchs als »digital natives« mit dem Internet aufgewachsen ist, sollte man nutzen und dessen Wissen dazu integrieren.

Auch digitale Lehrveranstaltungen sollte man in der Zeit nach Corona nicht ganz wieder einstellen, erklärte Professor Bernhard Hirt, Leiter des Instituts für Klinische Anatomie und Zellanalytik. So seien das tägliche Frühstücks-Fernsehen der Uni mit Experten aus den unterschiedlichsten Bereichen und die live übertragenen Ringvorlesungen zum Thema Covid-19 sehr gut angekommen.

Martin Holderried, Geschäftsführer des Zentralbereichs Medizin, berichtete von den Erfolgen mit der Telemedizin am Uniklinikum zum Austausch von medizinischen Informationen in Echtzeit und auf Augenhöhe mit anderen Krankenhäusern und Versorgern der Patienten. Er demonstrierte in einer Live-Schaltung, wie sich zum Beispiel Ärzte aus Albstadt Rat suchend an ihre spezialisierten Tübinger Kollegen wenden können, denen dann über eine Health-Cloud alle Daten zu einem konkreten Fall digital vorliegen.

Tatsächlich spielt eine gute Infrastruktur eine entscheidende Rolle für den Entschluss junger Ärzte, in einer Praxis auf dem Land zu arbeiten, wie einige Nachwuchsmediziner erklärten. Aber auch der Reiz, einen Menschen längerfristig zu begleiten, ist ihnen wichtig. Ebenfalls hilfreich: die finanzielle Unterstützung für Praxen und Studenten. Die Zahl der Facharztabschlüsse in Allgemeinmedizin lag 2017 in Baden-Württemberg mit 201 deutschlandweit ganz vorne.

Dass sich die Anerkennung der Hausärzte unter Studenten verbessert hat, liegt unter anderem daran, dass es für Allgemeinmedizin an der Uni Tübingen einen eigenen Lehrstuhl gibt, und zum anderen, dass sie das Fach über verschiedene Praxismodule besser kennenlernen können. Unter anderem über das Praktische Jahr in einer Praxis in der Region. Um diese in die Ausbildung einzubeziehen, müsse man die Lehr- und Forschungspraxen weiter professionalisieren und regionale Koordinatoren einsetzen, sagte Joos. An der Uni werden Moll- und Dur-Akkorde vermittelt, aber erst in der Praxis lernt man ein Instrument zu spielen, brachte es Roland Koch, Leiter im Bereich Lehre und Lehrforschung am Institut für Allgemeinmedizin, auf den Punkt.

Die Digitalisierung ist ein wichtiges Werkzeug zur Erweiterung der Methodik und zur Qualitätssicherung in der dezentralen Lehre, bestätigte Koch. »Sie ist aber nur ein Werkzeug.« Im Fokus steht immer der Mensch. Und diesem sei kein anderer Arzt so nah wie der Hausarzt. »Schreiten Sie zum Äußersten, berühren Sie den Patienten«, zitierte Koch die Aufforderung eines Ausbilders zur Ganzkörperuntersuchung. (GEA)