MÖSSINGEN. Was wurde hier nicht schon alles produziert: Körbe und Rechen, Branntwein und Bier, Spätzlesmaschinen und Hemden, Küchenmöbel und Schuhe, Stühle und Sportbekleidung. Ein umfassendes Bild, das weit über die Stoffe der Pausa hinausreicht, zeigt in der Kulturscheune die aktuelle Ausstellung »Made in Mössingen«. Und eigentlich hätte bald ein weiteres zukunftsträchtiges Produkt in die Liste aufgenommen werden sollen: Wasserstoff. Doch statt den Schritt in die Energieversorgung der Zukunft gehen zu können, müssen die Stadtwerke nun einen Rückzieher machen. Weil sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen geändert haben, lässt sich das Projekt Wasserstoff nicht mehr wie geplant verwirklichen.
»In Mössingen wird diese Anlage nicht kommen«, bedauert Philip Strohmaier, Projektmanager Erneuerbare Energien bei den Stadtwerken. »Es wäre allerdings deutlich frustrierender, wenn man das Vorhaben komplett eingestellt hätte.« Ganz abgehakt ist das Thema Wasserstoff für Mössingen nämlich nicht. Zwar erhält die Stadt keine eigene Produktionsstätte, wird aber Partner am Forschungsprojekt der Hochschule Reutlingen.
»Wir sind«, sagt Strohmaier, »am dortigen Reallabor beteiligt und können dort auch unser Personal ausbilden. Der Austausch mit Reutlingen läuft sehr gut.« Auch die Hochschule profitiert davon. Mössingen kann die Zuschüsse von der EU und vom Land, die noch nicht für Planungskosten verbraucht wurden, an die Hochschule umleiten. Obwohl damit am Ende nicht das herauskommt, was er sich vorgestellt hat, zieht der 30-jährige Ingenieur für Bioverfahrenstechnik und Umwelttechnik dennoch ein positives Fazit: »Wir haben einige Runden gedreht und viel dabei gelernt.«
1.650 Photovoltaikanlagen
Dass Wasserstoff ein wichtiger Energieträger der Zukunft sein wird, davon ist Strohmaier überzeugt. Deshalb ist Mössingen auch Teil einer Modellregion zusammen mit Reutlingen, Tübingen und Rottenburg. Ein Ziel: Erfahrungen zu sammeln mit Wasserstoff als Energiespeicher. »Wir haben mittags riesige Mengen Strom aus erneuerbaren Quellen wie Photovoltaik, wenn wir ihn nicht brauchen, aber nicht abends, wenn die Sonne nicht mehr scheint. Deshalb brauchen wir Speichermöglichkeiten«, erklärt Strohmaier an einem Beispiel. Das können Batterien sein, die aber eher für den kurzfristigen Ausgleich gedacht sind.
Um diesen Überschuss an Energie – in Mössingen sind etwa 1.650 Photovoltaik-anlagen in Betrieb, Balkonkraftwerke nicht mitgerechnet – länger zu speichern, ist Wasserstoff geeignet. Herstellen lässt sich Wasserstoff in Elektrolyseuren – Geräte, in denen Wasser aufgespalten wird in Wasserstoff und Sauerstoff. Großtechnisch, im Megawatt-Bereich, wird das längst praktiziert. Weil aber davon auszugehen ist, dass Mössingen in absehbarer Zeit nicht über eine große Pipeline mit Wasserstoff versorgt werden wird, war das Ziel, eine kleine und dezentrale Versorgung aufzubauen und zu testen.
»Ein Mini-Elektrolyseur mit einer Leistung von 100 Kilowatt sollte in Mössingen Wasserstoff produzieren. Diesen wollten wir abfüllen und an die Industrie verkaufen«, beschreibt Philip Strohmaier den ursprünglichen Plan. »Wir haben aber schnell gemerkt, dass das mit diesen kleinen Mengen nicht möglich ist. Deshalb wollten wir den Wasserstoff selbst verwerten.« In einem Blockheizkraftwerk sollte dieser bei Bedarf wieder rückverstromt werden und das Freibad und die nahen Schulen versorgen.
Vor fast einem Jahr hat der Gemeinderat dem Projekt mehrheitlich zugestimmt. Damals war schon deutlich geworden, dass die Zahl der Anbieter für solche Anlagen sehr klein ist. »Das war eine turbulente Zeit, die Preise sind exorbitant gestiegen«, erinnert sich Strohmaier. »Es war klar, dass wir mit einer 100-Kilowatt-Anlage nicht mehr hinkommen und kleiner werden müssen.« Nach einer weiteren Ausschreibungsrunde hätten die Stadtwerke zwar einen passenden Elektrolyseur gehabt, aber wenige Tage nach dem Zuschlag stieg der Lieferant der für den Betrieb notwendigen Peripheriegeräte aus: »Der Anbieter hat einen Rückzieher gemacht, weil er sich wegen der politischen Unsicherheiten in diesem Bereich zunächst nicht weiter engagieren will«, sagt Strohmaier. Damit war das Mössinger Projekt gestorben: »Wir hätten uns völlig neu orientieren müssen. Der Förderzeitraum endet aber im Februar 2027, und in dieser kurzen Zeit hätten wir das nicht geschafft.«
Kapazitäten aufbauen
In gewisser Weise hat der Projektmanager sogar Verständnis für die Hersteller, die angesichts der politischen Unwägbarkeiten nicht unnötig Produktionskapazitäten aufbauen wollen: »Beim Wasserstoff gibt es im Moment das Problem mit dem Henne-Ei-Prinzip.« Sollen Kapazitäten aufgebaut werden, obwohl die Abnahme nicht garantiert ist? Aber wer will sich als Abnehmer positionieren, solange nicht die Lieferung gesichert ist? »Es müsste«, findet Strohmaier, »einen gemeinsamen Hochlauf geben entlang der gesamten Wertschöpfungskette für Wasserstoff.«
So schreibt er einen Abschlussbericht, rechnet die Fördermittel ab und konzentriert sich auf die Zusammenarbeit mit der Hochschule Reutlingen: »Das ist eine Lösung, von der wir trotzdem alle profitieren.« Und denkt doch schon weiter: »Jetzt wird das Thema Batteriespeicher aktuell.« (GEA)


