TÜBINGEN. Cem Özdemir ist am Mittwoch nach Tübingen gekommen, um eine kleine, gläserne Trophäe in Empfang zu nehmen. Für die beste Rede des Jahres 2018. Ausgezeichnet hat ihn das Seminar für Allgemeine Rhetorik der Eberhard-Karls-Universität Tübingen für einen Beitrag im Deutschen Bundestag, in dem sich der Grünen-Politiker mit Verve klar von einem von der AfD eingebrachten Antrag für eine Maßregelung des Journalisten Deniz Yücel abgrenzt und die demokratischen Werte verteidigt. Im GEA-Interview erklärt der gebürtige Bad Uracher, wie es zu dieser fulminanten Rede kam, die in den sozialen Medien steil ging, und wem er den Preis widmet.
GEA: Herr Özdemir, Sie hatten damals bei Ihrer Rede im Bundestag ein paar Blätter am Pult mit dabei, aber ansonsten frei gesprochen. Hatten Sie sich darauf einige Notizen notiert oder sogar Sätze ausformuliert?
Cem Özdemir: Ich hatte Notizen gemacht und ein Gerüst der Rede vorbereitet. Aber mich dann nicht daran gehalten, weil ich sie immer wieder schon während der Debatte ergänzt oder umgeschrieben habe. Man hat ja gesehen, als ich sie gehalten habe, dass ich auf die Zwischenrufe der AfD reagiert habe. Das war alles sehr spontan, meistens sind das auch die besten Reden. Ich hatte nicht viel Zeit, deshalb habe ich versucht, alles unterzubringen, so kam es dann auch dazu, dass ich am Ende die S-Bahn-Linie von Stuttgart bis nach Bad Urach verlegt habe. (lacht)
In dem Moment hätten Sie wohl nicht geglaubt, dass Sie dafür gleich mehrere Preise erhalten würden?
Özdemir: Ich habe nicht gedacht, dass die Rede in den sozialen Medien so viral gehen würde. Aber das freut mich natürlich und ich fühle mich auch geehrt, diesen Preis zu erhalten. Ich widme ihn all denjenigen Menschen und Kommunalpolitikern, die nicht so in der Öffentlichkeit stehen wie ich und trotzdem jeden Tag für die Demokratie im Land einstehen, obwohl sie keinen Personenschutz haben. Ich hätte nie für möglich gehalten, dass ich das mal in Deutschland sagen muss: Aber nach dem Mord an dem Kassler Regierungspräsidenten Walter Lübcke sieht es ja nun ganz danach aus, als ob man angesichts von Hetze und Hass im Internet viel Mut aufbringen muss, um die freiheitliche demokratische Grundordnung in Deutschland zu verteidigen.
Das ist nicht mehr selbstverständlich?
Özdemir: Nein, und deshalb nehme ich den Preis stellvertretend für alle entgegen, die sich überall in Deutschland unerschrocken für die Demokratie einsetzen. Aber ich denke in solchen Momenten auch an Deniz Yücel, um den es ja damals im Bundestag ging, und die Journalisten und Politiker, die in der Türkei im Gefängnis eingesperrt sind, weil sie nur ihren Beruf ausüben. Die dürfen wir nicht vergessen. (GEA)