BERLIN. Mit deutlichen Worten hat Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer in der ZDF-Talkshow von Markus Lanz Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) gegen Rassismusvorwürfe in Schutz genommen. Zwar sei dessen umstrittene Aussage über ein »Problem im Stadtbild« »blöd gemacht« gewesen, sagte Palmer, »aber im Kern war sie richtig«. Die Äußerung habe eine überfällige Debatte ausgelöst, die bislang »tabuisiert« worden sei.
Bereits 2017 habe er in seinem Buch »Wir können nicht allen helfen« die von Merz beschriebenen »Probleme im Stadtbild« thematisiert, erklärte der Tübinger OB. »Damals bekam ich direkt Rassismusvorwürfe.« Die jetzigen Äußerungen des Kanzlers empfinde er als gute Gelegenheit, endlich »Tacheles« zu reden. Merz hatte gesagt, die Bundesregierung korrigiere frühere Versäumnisse in der Migrationspolitik, »aber wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem«. Dafür erhielt der Kanzler Lob von der AfD, aber auch scharfe Kritik aus der Ampelkoalition. SPD-Chef Lars Klingbeil sprach gar von »rassistischer Sprache«.
Palmer: »Ich war fast erleichtert«
Bei Markus Lanz erklärte Palmer, er habe die Aussage des Kanzlers nicht wie viele andere missverstanden. Merz habe das Thema im Zusammenhang mit Abschiebungen genannt – und damit sei klar gewesen, »dass er nicht alle Migranten gemeint hat, die in der Pflege oder in der Industrie arbeiten«. Gemeint sei vielmehr »eine kleine Gruppe junger, arbeitsloser Männer ohne Aufenthaltsrecht«, die in manchen Städten durch Drogenhandel oder Aggressivität auffielen. »Ich war fast schon erleichtert, dass der Bundeskanzler das angesprochen hat«, sagte Palmer. »Er hat eine längst überfällige Debatte neu entfacht.«
Der Tübinger OB berichtete von eigenen Erfahrungen aus seiner Stadt. Erst vor Kurzem habe eine Gruppe von »zehn dunkelhäutigen Jungs« nachts am Tübinger Bahnhof versucht, einem jungen Mann das Handy zu rauben. Erst das Eingreifen der Polizei habe die Tat verhindert. Palmer sprach sich für klare Regeln im öffentlichen Raum aus. Er forderte etwa die Möglichkeit, Videokameras am Tübinger Bahnhof zu installieren – was bislang am Datenschutz scheitere. Außerdem forderte er: »Die Gruppen junger Männer müssen weg von der Straße. Sie müssen in Arbeit.« Sonst komme es dazu, dass wie in Tübingen zentrale Plätze von diesen Gruppen in Beschlag genommen würden.
Nach 2015 habe eine Gruppe ausreisepflichtiger Männer aus Gambia im Alten Botanischen Garten, einem zentralen Park der Stadt, einen florierenden Drogenhandel betrieben. »Die Polizei war machtlos, weil immer nur kleine Mengen gefunden wurden.« Geldstrafen hätten nichts bewirkt, da die Männer kein geregeltes Einkommen gehabt hätten. Und auch wenn einer für zwei Wochen ins Gefängnis kam, sei er anschließend unbeirrt weitergegangen. Im März 2023 ist schließlich ein Gambier bei einem Streit niedergestochen und tödlich verletzt worden. Erst danach sei die Szene durch massive Polizeieinsätze und den Einsatz von Hunden aufgelöst worden, so Palmer.
Schon vor der Tötung sei bekannt gewesen, dass der Täter wegen schwerer Körperverletzung und Vergewaltigung polizeibekannt war. »Hätten wir früher reagiert, wäre es nicht so weit gekommen.« Aus Palmers Sicht hätten die ausreisepflichtigen Männer früher abgeschoben werden müssen. Widerspruch kam von Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne). Abschiebungen seien keine soziale Problemlösung, sagte er. Palmer entgegnete, in einer Stadt wie Tübingen mit rund 90.000 Einwohnern könne die Abschiebung einiger weniger bereits »das Stadtbild spürbar verändern«.
Palmer kritisierte auch strukturelle und bürokratische Hürden im Umgang mit auffälligen Migranten. »Der Staat macht sich blind«, sagte er und verwies auf die Arbeit der Tübinger Integrationsmanager. Wenn einer ihrer Klienten strafrechtlich auffällig werde, dürfe die Polizei diese Information nicht weitergeben. »Der Integrationsmanager hilft dem Klienten stattdessen, neue Sozialleistungen zu bekommen«, so Palmer. »So können wir den Leuten nicht klarmachen, was die Regeln in unserem Land sind.«
Kritik an »Empörungskultur«
Am Ende der Sendung zog der 52-Jährige, der 2023 aus den Grünen ausgetreten war, ein Fazit: »Die Stadtbild-Debatte hat uns weitergebracht.« Einerseits würden Probleme in deutschen Innenstädten offener benannt, andererseits zeige sich, »dass wir mit Empörungskultur nicht weiterkommen«. Palmer forderte: »Es sollte nicht immer gleich die Rassismuskeule geschwungen werden. Wir sollten verbal abrüsten und die Probleme gemeinsam lösen.«
Wie das gelingen könne, zeigte er am Beispiel Tübingens. Durch eine »Reihe von Maßnahmen« – etwa die Aufstockung des Ordnungsdienstes und die Umgestaltung von Plätzen – habe sich das Sicherheitsgefühl der Bürger laut einer Umfrage deutlich verbessert. (GEA)

