TÜBINGEN/MÖSSINGEN. Die Taten, deretwegen sich zwei chinesische Staatsangehörige - eine Mutter und ihr erwachsener Sohn - vor dem Schöffengericht des Amtsgerichts Tübingen verantworten mussten, sind schon eine ganze Weile her: Zwischen 2014 und 2018 betrieben die beiden ein Chinarestaurant in Mössingen, ab 2017 kam noch ein Restaurant in Böblingen dazu. Bei beiden Betrieben firmierte der 37-jährige Sohn offiziell als Geschäftsführer, wobei seine Mutter ihn zu entlasten versuchte: In Wahrheit, so erklärte der Verteidiger der 61-Jährigen, habe deren Sohn nur als »Strohmann« fungiert, weil die Chinesin, die 2004 nach Deutschland gekommen war, aufgrund einer vorhergegangenen Insolvenz keinen Betrieb mehr führen durfte. »Wir haben das so getan, um die Familie über Wasser zu halten«, erklärte die 61-Jährige in ihrem letzten Wort.
Vom »über Wasser halten« kann indes nicht die Rede sein - zumindest nicht, wenn die von der Steuerfahndung ermittelten Beträge korrekt waren. Rund 1,4 Millionen Euro an Steuern habe der Sohn in elf Fällen des besonders schweren Falls der Steuerhinterziehung hinterzogen, weitere 350.000 Euro gingen demnach auf das Konto der Angeklagten, die sich in Böblingen um die Kasse kümmerte. Die beiden Angeklagten hatten für ihre Restaurants Kassensysteme erworben, die sich manipulieren ließen. »Umsätze konnten für mehrere Wochen rückwirkend storniert werden«, erklärte Staatsanwalt Lukas Bleier. Als die Betrugsmasche in Niedersachsen erstmals aufflog und gegen den Hersteller der Kassen ermittelt wurde, verschwanden die manipulierbaren Kassen - und wurden durch andere Modelle ersetzt, die ebenfalls wieder Manipulationen erlaubten.
Steuerfahnder ermitteln über fünf Jahre
Die Steuerfahnder machten ihre Sachen anschließend gründlich, wie ein als Zeuge geladener Vertreter des Finanzamtes vor Gericht berichtete. So kamen die Steuerfahnder zu »Testkäufen« in die Restaurants, um die Besucherzahlen und Umsätze einschätzen zu können. Später wurden die Kassen beschlagnahmt und in Oldenburg von Spezialisten ausgewertet. Dabei ließ sich für den Oktober 2018 nachweisen, dass 51 Prozent der Umsätze gelöscht worden waren. Auch beim Einkauf wurde vieles nicht ordentlich verbucht, wie der Zeuge schilderte: »In vier Monaten wurden mehr Getränke verkauft, als im ganzen Jahr gekauft wurden.« Die Steuerfahnder errechneten am Ende massive Diskrepanzen zu den wahren Einnahmen: Teilweise hatten die Gastronomen negative Jahreserlöse angegeben, in Wahrheit aber bis zu 849.000 Euro Gewinn gemacht. Allein der Stadt Mössingen seien so Gewerbesteuereinnahmen in Höhe von rund 250.000 Euro hinterzogen worden. Insgesamt wurde fünf Jahre ermittelt, ehe die Steuerfahnder den Fall der Staatsanwaltschaft vorlegten, weshalb erst jetzt Anklage erhoben worden war.
Die Steuerhinterziehung selbst räumten beide Angeklagte über ihre Anwälte ein. Die Verteidiger Nico Glöckle und Helmut Hild bemühten sich aber nach Kräften, die hinterzogene Summe herunterzurechnen. Allein: weder Staatsanwalt Bleier noch das Schöffengericht ließen sich von den angestellten Berechnungen der Rechtsanwälte beeindrucken. Dagegen sprach auch, dass der 37-Jährige beim Versuch, einen Porsche zu kaufen, auf einem sichergestellten Darlehnsantrag ein Monatseinkommen in Höhe von 20.000 Euro vermerkt hatte. »Sie gehörten zeitweise zu den reichsten Mössingern«, betonte daher Richter Benjamin Kehrer in der Urteilsbegründung.
Nach eigenem Bekunden mittellos
Das hinterzogene Geld freilich scheint verschwunden. Beide Angeklagte wollen inzwischen nur noch zum Mindestlohn als Kellnerin und Koch arbeiten - und gaben dabei jeweils ein Monatseinkommen in Höhe von rund 1.000 Euro an. Die Restaurants habe der Sohn erst an seinen Vater verkauft - »für 10.000 bis 20.000 Euro«; später seien die Betriebe weiterverkauft worden. Der verheiratete Sohn, der zwei Kinder im Alter von elf und 14 Jahren hat, sei praktisch mittellos, erklärte er vor Gericht: »Am Monatsende bleibt nichts übrig.« Die beiden chinesischen Staatsangehörigen sind indes nicht vorbestraft.
Das Schöffengericht verurteilte die 61-Jährige am Ende zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe. Sie muss zudem eine Geldstrafe in Höhe von 35.000 Euro aufbringen - ein deutliches Zeichen, dass auch Richter Kehrer und die Schöffen an den Aussagen zur finanziellen Situation der beiden Angeklagten zweifelten. Auch das Finanzamt dürfte die hinterzogenen Summen nun einzutreiben versuchen. Der Frau droht zudem eine weitere Anklage, da sie mit ihrer Aussage zwar ihren Sohn schützte, sich selbst aber auch der Steuerhinterziehung in Mössingen bezichtigte. Der 37-jährige Sohn wurde trotzdem als Geschäftsführer zu zwei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. »Der Bundesgerichtshof sieht bei einer Steuerhinterziehung in Millionenhöhe keine Bewährungsstrafen mehr vor«, stellte Richter Kehrer klar. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. (GEA)
Im Gerichtssaal
Das Schöffengericht mit Richter Benjamin Kehrer und den Schöffen Mathias Kessler und Priska Schneider, Staatsanwalt Lukas Bleier und die Verteidiger Nico Glöckle und Helmut Hild.

