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Aktuell Sozialhilfe

Jedes sechste Kind in Tübingen ist arm

Tübingen schafft unbefristete Stelle zur Beratung. Hemmschwelle für Betroffene ist hoch

Eine Person galt 2010 als armutsgefährdet, wenn sie nach Beanspruchung staatlicher Leistungen weniger als 11 426 Euro im Jahr
Foto: Malte Christians
Foto: Malte Christians

TÜBINGEN. In Deutschland leben über vier Millionen Kinder in Armut. Nach Berechnungen des Deutschen Kinderschutzbundes beziehen viele Familien davon keine Sozialleistungen, obwohl sie Anspruch darauf hätten. Das Thema Kinderarmut spielt auch in Tübingen eine wichtige Rolle. Jedes sechste Kind lebt in Tübingen in Armut.

Eine Familie, die 60 Prozent des mittleren Nettoeinkommens verdient, gehört bereits in diesen Bereich. Für eine Alleinerziehende mit zwei Kindern sind das in etwa 1 440 Euro im Monat. Viele wissen aber nicht, dass sie Anspruch auf Sozialleistungen haben, oder trauen sich nicht, sich an eine Beratungsstelle zu wenden.

In Tübingen gibt es seit 2015 deshalb das Projekt der Tübinger Ansprechpartner für Kinderarmut (TAPs). Dort engagieren sich Menschen, die in Kinderhäusern, Schulen und Vereinen arbeiten und für das Erkennen von Kinderarmut in ihren Einrichtungen geschult sind. 142 gibt es davon in Tübingen.

Das Projekt, Ansprechpersonen zu gewinnen, sie auszubilden und zu begleiten, wurde von der Stadt Tübingen und dem Diakonischen Werk 2015 initiiert und jetzt abgeschlossen. Kinderarmut zu erkennen und den betroffenen Familien Hilfe anzubieten bleibt aber weiterhin ein Anliegen der Stadt Tübingen und der Diakonie. Deshalb wird ab sofort eine unbefristete 25 Prozent-Stelle dafür bei der Stadt eingerichtet, die sich weiter um die Begleitung der TAPs kümmern wird.

Diese Stelle steht in Verbindung mit der Kinder-Card, die in Tübingen an Kinder ausgestellt wird, deren Familien Sozialleistungen erhalten. Mit der Karte können sie zum Beispiel Ermäßigungen für Bustickets und Eintritte bekommen.

Cornelia Weber, Geschäftsführerin des Diakonischen Werks Tübingen, resümiert das TAPs-Projekt positiv, auch wenn es weiterhin viel Handlungsbedarf gibt: »Wir waren anfangs überrascht, wie viel Bedarf es in Tübingen gibt. Die Ansprechpartner in den Einrichtungen zu finden und zu schulen war ein großer zeitlicher Aufwand. Aber jetzt bestehen die Kontakte und das Wissen wird weitergegeben.«

Ganz konkret erklärt sie die Arbeit der TAPs am typischen Kindergeburtstag. Schon Kleinkinder tauschen sich darüber aus, wie viele Geschenke sie bekommen haben, und wollen ihren Geburtstag in Restaurants oder mit teuren Freizeitaktivitäten feiern. Viele Familien könnten da finanziell nicht mithalten. Besitzer der KinderCard können für eine Pauschale von 25 Euro Räume für solche Anlässe mieten.

Auf solche Möglichkeiten weisen die TAPs hin. In Kindergärten und Schulen wurden Tauschregale für Kleidung und Spielsachen eingeführt. Gelder werden am Anfang des Monats eingesammelt, um zu verhindern, dass es am Monatsende noch knapper wird als ohnehin schon.

»Wir waren anfangs überrascht davon, wie viel Bedarf es in Tübingen gibt«

Trotzdem ist die Hemmschwelle, solche Angebote zu nutzen, für viele Menschen sehr hoch. Die TAPs können da erste Anlaufstellen sein und auch andere Familien für das Thema sensibilisieren. Für ausführliche Beratungen werden die Betroffenen dann an die Sozial- und Lebensberatung weitergeleitet. Sozialpädagogin Karin Betz-Oberhausen erklärt, dass es eine große Unterstützung für die Familien sei, überhaupt zu wissen, wohin man sich wenden kann und welche Hilfsangebote es gibt. Zukünftig kann das TAPs-Projekt auch Beispiel für weitere Projekte werden – zum Beispiel im Umgang mit Altersarmut.

Ansprechpartnerin für die neue Kinder-Card in Tübingen ist Monica Jordan. (GEA)

 

07071 2041490

monica.jordan@tuebingen.de