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Wenn am Ende die Fäuste fliegen

REUTLINGEN. Immer wieder hört man von Gewalt und Mobbing an deutschen Schulen. Ist das auch am Bildungszentrum Nord ein Thema? Zwei ZmS-Reporter haben sich Gisela Handke, Beratungslehrerin an der Schule in Rommelsbach, unterhalten.

ZmS: Gibt es Gewalt an unserer Schule und wie entsteht sie?

Gisela Handke: Jeden Tag finden viele kleine »Entwertungen« zwischen den Schülern manchmal aber auch zwischen Schülern und Lehrern statt. Manches wird dahergeredet und dabei nicht bedacht, dass es jemanden kränken könnte. Vieles davon wird wieder vergessen und führt nicht wirklich dazu, dass sich jemand ärgert. In Beratungsgesprächen wird jedoch deutlich, dass diese Entwertungen oft der Anfang von sehr negativen Gefühlen waren. Es war offensichtlich nicht möglich mitzuteilen, dass man sich in einer Situation entwertet fühlte. In der Folge kann sich bei einigen Personen das Konto von negativen Emotionen enorm füllen. Besonders dann, wenn diese Personen kaum Freunde haben oder bisher auch nicht gelernt haben, sich mitzuteilen. In solchen Fällen wird Gewalt manchmal als einzig mögliche und notwendige Konsequenz auf ständige Provokation angesehen. Darüber hinaus gibt es »Machtspielchen«, bei denen manche Personen offensichtlich davon profitieren wollen, dass sie anderen sagen, was sie zu tun und zu lassen haben und bei Nichteinhaltung mit »Gewalt« drohen. Diese Fälle gibt es meines Wissens nicht so oft. Einzelne Bemerkungen werden manchmal als Spaß verharmlost. Hinzu kommt, dass einige Schüler(innen) meinen, sich öffentlich in Internet-Foren in sehr beleidigender Form zu äußern, nach dem Motto: »Die Gedanken sind frei«. Diese Art der Entwertung zählt genauso wie mündlich ausgesprochen oft zum Anfang der Entstehungsgeschichte von Gewalttaten. Insgesamt kann ich zu den tatsächlichen Gewalttaten wenig sagen, da nur diejenigen zu mir als Beratungslehrerin dringen, bei denen sich jemand anvertraut und etwas ändern beziehungsweise geändert haben möchte. Die Dunkelziffer von Gewalttaten an unserer Schule kann ich schwer einschätzen.

Hätten Sie Angst, Ihre Kinder in die Schule zu schicken, wenn es dort viel Gewalt gäbe?

Handke: Ich kann diese Frage nicht aus Elternperspektive beantworten. Verglichen mit anderen Schulen ist die Atmosphäre am BZN aus meiner Sicht nicht problematisch, sondern viele Schüler(innen) und Lehrer(innen) empfinden das Klima hier recht angenehm, glaube ich. Ich kann Eltern gut verstehen, die sich sorgen, wenn sie ihrem Gewaltandrohungen ausgesetzten Kind gerne helfen möchten, aber nicht wissen, wie. Ich bin jedoch der Meinung, dass die beste Gewaltprävention darin besteht, das Kind in seiner Eigenkompetenz zu stärken, beispielsweise offen seine Meinung zu sagen oder seine negativen Gefühle auch benennen zu können - beispielsweise »Es verletzt mich, wenn du dich über mein Körpergewicht lustig machst« - aber auch Wege kennen lernen, um sich Hilfe zu holen, ohne es als »petzen« zu verstehen, finde ich sehr wichtig. Darüber hinaus hören Eltern zu Hause immer nur die eine Perspektive - die von ihrem Kind. Inwieweit das Kind selbst beteiligt und nicht nur »Opfer« ist, wird von Eltern manchmal übersehen. Ob an unserer Schule potenzielle Gewalttäter sind, die auch zu größeren Aktionen fähig wären, ist unglaublich schwer einzuschätzen. Wichtig finde ich, dass jeder von uns Lehrern und Schülern hier gute »Antennen« entwickelt und bereitstellt, um völlig irritierendes Verhalten mitzubekommen und dem nachzugehen.

Wie würden Sie sich als Beratungslehrerin verhalten, wenn Sie eine Gewalttat an unserer Schule sehen beziehungsweise bemerken?

Handke: Wenn in Beratungsgesprächen als der alleinige Ausweg Gewalt gesehen wird, versuche ich den sogenannten »Mobbingopfern« deutlich zu machen, wie sehr sie anderen durch ihr Verhalten Macht geben. Sie drücken auf den Knopf der Provokation und schon kommt es zur Gewalt, sozusagen als Reflex. Ich möchte gerne helfen, viele Perspektiven in dieser schwierigen Situation zu sehen, um dann die passendste Möglichkeit für sich zu wählen. Wie ich finde, eine sehr effektive Methode. Die eigene Rolle wird gestärkt, man fühlt sich nicht mehr nur als »Marionette« anderer. Sofern offensichtlich ist, dass gewalttätig vorgegangen wird, würde ich natürlich versuchen, die beiden Kontrahenten zu trennen oder die Beleidigungen abzustellen. Klären kann man solche Dinge erst, wenn beide Parteien nicht mehr »auf Puls 180« sind, sondern sich in der Lage fühlen, sich mit der Gewalttat auseinanderzusetzen. Ist jemand tatsächlich »Opfer« und jemand anderer »Täter«, dann braucht es für das Opfer in jedem Fall eine passende Entschädigung des Täters. Ob das »nur« eine Entschuldigung ist oder es andere Vereinbarungen braucht, lässt sich nur im Einzelfall klären. Es ist wünschenswert an dieser Stelle nicht primär den oder die »Schuldige(n)« herauszufinden, sondern viel mehr zu klären oder bewusst zu machen, welche Konsequenzen das Handeln hat und dass dafür auch die Verantwortung zu übernehmen ist. (ZmS) Lukas Hahn und Patrick Jakubek, BZN-Gymnasium Rommelsbach, Klasse 10 e