Eine große Kirche. Sie wurde wundervoll geschmückt, um den Trauernden Trost zu spenden. Überall hängen Blumen und es wurden sogar einige Bilder aufgehängt, von einem Mann mit leicht bräunlichem Haar und einem strahlenden Lächeln. Der Mann sieht nicht sehr alt aus. Daneben wurden Schilder aufgestellt, die ans Grab getragen werden. Auf ihnen stehen Dinge wie »Zu früh von uns gegangen«, »Du fehlst hier« oder »Ich liebe dich«.
Schwere Stunden
»Wunderschön haben sie es gemacht. Es hätte meinem Vater gefallen«, kommt eine große, schlanke Frau mit leuchtenden blauen Augen zu Pfarrerin Hildegard Wetzlar und spricht ihr ihren Dank aus. Dann bricht auch sie in Tränen aus und der Raum wird von Schluchzen erfüllt. Sie nimmt das kleine Kind an der Hand und alle Angehörigen gehen weinend heraus. Die Konfirmanden sind die einzigen, die bei dieser Trauerfeier neben den Hinterbliebenen teilnehmen.Dieser, wenn auch nicht schöne Teil ist Teil des Konfirmandenunterrichts. Die Jugendlichen sollen lernen, mit Trauer und Wut umzugehen und trotzdem wissen, dass Gott immer für sie da ist. Pfarrerin Wetzlar sagt, dass jede Konfirmandengruppe einmal an einer Trauerfeier teilnimmt - natürlich nur mit Einverständnis der Angehörigen. Die meisten Trauerfeiern finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Es ist eine große Ausnahme. Jedes Jahr aufs Neue.
Den Konfirmanden fehlen die Worte. Wie auch soll man Trauernden sein Beileid wünschen? Keiner traut sich, der Familie zu nahe zu kommen. Jeder zeigt respektvolles Verhalten und schweigt lieber. Manchmal sei Schweigen besser, wie Frau Meiner sagt.
»Ein trauriger Fall«, sagt die Pfarrerin. »Er ist sehr jung und sehr überraschend gestorben. Er hinterlässt seine Frau und eine große Familie.« Eine Geschichte, die alle neugierig macht. »Wie kann man nach solch einem Schicksalsschlag überhaupt noch an Gott glauben?«, fragt einer der Konfirmanden in der hintersten Reihe. Empörung macht sich breit. Die Gesichter werden ernst. »Wie kannst du es wagen.«, ruft ein großes Mädchen, mit blondem Haar, darin zahlreiche bunte Spangen. Das einzige Bunte an ihr. Alle sind schwarz angezogen.
Pfarrerin Hildegard Wetzlar beschwichtigt: »Aber, aber meine Lieben«, versucht sie die aufgebrachten Konfirmanden zu beruhigen, »diese Frage ist vollkommen normal, und man hat sie mir schon oft gestellt.« Jetzt läuten die Kirchenglocken. Laut und öfter als sonst. Draußen stehen die Trauernden. Fragen wie »Wieso?« ertönen immer wieder. Viele von ihnen wollen keinen Trost, möchten in Ruhe gelassen werden.
Hilfe annehmen zeugt von Stärke
Dabei sei Trost sehr wichtig, wie Psychologin Waltraud Meiner erklärte: »Es ist ein Heilungsprozess, eben nur für die Seele. Seelische Wunden heilen bei den meisten Menschen nie, doch man kann sie verringern, indem man sich helfen lässt«, erklärt sie weiter und tippt mit dem Stift nervös auf ihren Block. Ihre Miene wird ernster. »Es ist ein Thema, das jeden berührt, aber der Tod ist kein Ende, er ist ein Neuanfang. Man lernt selbstständiger zu sein und man muss lernen sich zu lösen, da man sonst psychischen Ballast trägt, der einem das Weiterleben nur noch schwerer, manchmal sogar unmöglich macht«, erläutert sie die Folgen.»Auch wenn es nahezu unmöglich scheint, nach solch einem Ereignis weiterzuleben, lohnt es sich doch, und Hilfe anzunehmen zeugt nicht von Schwäche, sondern von Stärke.«
Zweifel an Gott
Die Theologin greift die Frage auf, ob und wie man weiterhin an Gott glauben könne und solle: »Diese Frage kann auch ich nicht beantworten.« So eine ehrliche Antwort hat niemand erwartet. Stille macht sich breit. Viele sind geschockt. »Ich kann nur sagen, dass die verblichene Person nun zu Gottes Reich gehört. Für uns beginnt etwas Neues«, sagt Hildegard Wetzlar, »vor allem die Angehörigen müssen erst mal wieder in ihr Leben, zu sich selbst und natürlich zu Gott finden. Einige von ihnen werden es niemals verstehen und werden für immer den Glauben an Gott verlieren, aber andere werden noch stärker an Gott glauben.« Sie würden lernen, dass es ihrem geliebten Menschen gut gehe und dass das Leben weitergehe, so Wetzlar.Einige schauen jetzt sehr verwirrt. Viele haben nicht ganz verstanden, was die Pfarrerin sagen will. »Das heißt, obwohl Gott uns unser Leben beschwert, sollen wir ihm vertrauen?« Die Konfirmanden starten eine heftige Diskussion. »Müsst ihr nicht«, wirft die Pfarrerin ein. »Gott zwingt euch zu nichts. Er hofft, dass ihr den Glauben niemals verliert.«
»Aber Gott sagt doch immer, dass er allmächtig, barmherzig, geduldig und gnädig ist. Warum passiert dann sowas?« Es ist eine leise, aber hohe Stimme, die aus einer der hinteren Reihen kommt. »Etwas Derartiges hat Gott nie behauptet. Es ist richtig. All diese Eigenschaften werden ihm zugeordnet, aber keiner weiß genau, wie Gott wirklich ist. Ich frage euch, seid ihr alle immer gerecht?«
Wer ist schon perfekt?
Keine Antwort. Alle starren leer auf den Boden oder zur Decke. »Aha! Das dachte ich mir«, sagt die Pfarrerin, »es ist aber nicht schlimm. Im Gegenteil. Ihr dürft Fehler machen. Ihr seid schließlich nur Menschen und wir sind nicht perfekt, aber erwartet es dann auch nicht von Gott. Gott muss auch nicht perfekt sein. Gott ist, wie er ist. Keiner kennt seine Eigenschaften wirklich, aber wer fest glaubt, der weiß, dass Gott versucht, uns das Beste zu geben.« Rührung. Verständnis. Vertrauen. Jeder hat das Gefühl, Gott ganz nah zu sein. Keiner fühlt sich mehr allein gelassen.Die Konfirmanden packen ihre Sachen, verabschieden sich und gehen Richtung Ausgang. »Hey!«, ruft die Psychologin ihnen noch einmal zu. Alle drehen sich mit fragenden Gesichtern um. »Nicht vergessen, der Tod ist kein Ende, sondern ein Anfang!« (ZmS)
Sarah Gora, Albert-Einstein Gymnasium in Reutlingen, Klasse 10 a