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Aktuell INTERVIEW

Das Leben auf vier Rädern meistern

REUTLINGEN. Seyyah Inal arbeitet seit 2006 in der Mensa des Albert-Einstein-Gymnasiums. Er sitzt im Rollstuhl. Wir stellten ihm Fragen über seinen Alltag, seine Arbeit und das Leben mit seiner Behinderung.

ZmS: Wie verhalten sich die Schüler/Lehrer Ihnen gegenüber?

Seyyah Inal: Also bisher sehr gut, das hätte ich am Anfang jetzt auch nicht gedacht. Ich hätte gedacht, dass sie sagen: »Der braucht zu lange«, sozusagen ganz banal »dieser Rollifahrer«. Aber das war überhaupt nicht so. Ich wurde gleich gut aufgenommen. Und auch wenn es am Anfang ein bisschen länger gedauert hat, haben sie Geduld gehabt und jetzt fühle ich mich sehr wohl und mache diesen Job eigentlich auch sehr gern. Weil ihr so nette Schüler seid.

»Warum ich? - Diese Frage stelle ich mir schon lange nicht mehr«
Arbeiten Sie auch noch wo anders?

Inal: Ja, wenn ich nicht hier bin, arbeite ich in der WFB, das ist eine Werkstatt für Behinderte.

Was machen Sie da?

Inal: Da mache ich viel am Computer: Briefe schreiben, Power-Point-Präsentationen, ich übernehme Aufträge aus dem Haus und dann kommt man zu mir, wenn man irgendwelche Aufträge hat.

Letztes Jahr haben sie beim »Poetry Slam« mitgemacht. Wie kam es überhaupt dazu? Denn eigentlich machen da ja immer nur Schüler mit …

Inal: Es war so, dass ich schon eine ganze Weile schreibe. Aber ich wusste nicht, was ich mit meinen Texten machen soll. Und dann hatte ich eigentlich eine ganz andere Idee gehabt: Ich wollte ursprünglich eine kleine Geschichte daraus machen, ein kleines Theaterstück aus der Story. Und dann hieß es, es gibt was, das nennt sich »Poetry Slam«, da kann man sein Gedicht vortragen und, ja, so kam das dann.

Schreiben Sie viel und gerne Gedichte?

Inal: Ja, das ist ein ganz großer Bestandteil von mir.

Und was schreiben Sie dann so?

Inal: Unterschiedlich.

Also über Gott und die Welt?

Inal: Ja, alles. Über Personen und Gedanken.

Und dann haben Sie es ja auch eine Stufe weiter ins franz.K geschafft. Wie haben Sie sich da gefühlt?

Inal: Super. Es ist der absolute Kick, vor so vielen Leuten aufzutreten.

Sie singen, macht es Ihnen Spaß?

Inal: Ja.

Schreiben Sie dann Ihre eigenen Lieder?

Inal: Ja, ich fange gerade damit an.

Wenn Sie ein Instrument spielen würden, welches wäre es und warum?

Inal: Gitarre, weil es ein tolles Instrument ist.

Was singen Sie für Lieder?

Inal: Viel Souliges, Ray Charles zum Beispiel, Xavier Naidoo. Was ich demnächst vorhabe, ist ein kleines Konzert mit alten und aktuellen Liedern.

Und wo wäre das dann?

Inal: In einer Kneipe, die bei uns ist, in Rappertshofen. Die hat neu eröffnet und ich hab mir überlegt: Wie kann ich den Leuten da helfen? Und dann ist mir so eine Idee gekommen. Aber das ist bisher leider nur eine Idee.

Finden Sie, dass Städte wie Reutlingen behindertengerecht sind?

Inal: Teilweise. Ein großes Problem sind die Busse, weil die meisten keine Rampen dabei haben und dann muss ich immer erst warten, bis die Rampe kommt - und das kann dann locker mal eine halbe Stunde dauern. Ich hatte sogar mal den Fall, dass ich zwei Stunden auf eine Rampe warten musste und irgendwann hatte ich dann keine Lust mehr, dann bin ich nicht mehr mitgefahren. Ja, die Fahrt mit den Bussen ist ein ganz großes Problem.

Fühlen Sie sich durch Ihre Behinderung benachteiligt?

Inal: Ja, in gewisser Weise schon. Vor allem in den Momenten, wenn das dann gerade mal wieder passiert, dann denk ich mir immer »Oh, scheiße!«

Stellen Sie sich manchmal die Frage: »Warum ich. Warum ich und nicht jemand anderes«?

Inal: Die Frage stelle ich mir schon lange nicht mehr.

Also haben Sie sie sich gestellt aber sich damit abgefunden?

Inal: Ja, schon lange.

Wie möchten Sie, dass man mit Ihnen und Ihrer Behinderung umgeht?

Inal: Ganz normal. Mich trotz allem als ganz normalen Menschen sehen. Ich finde es halt immer schwierig. Viele Leute scheinen zu denken, wenn sie einen Rollstuhlfahrer sehen: Soll ich ihn jetzt fragen, ob er vielleicht Hilfe benötigt, oder bin ich dann unhöflich, weil ich ihm nichts zutraue? Deswegen ist es, glaube ich, gut, wenn man erst mal fragt »Kann ich Ihnen helfen?«. Klar gibt es Rollifahrer, das habe ich persönlich schon einmal erlebt, die dann richtig unfreundlich werden und sagen »Nur weil ich im Rolli sitz …«. Das ist, finde ich, aber kein guter Weg. Dann sollen sie lieber ganz nett sagen »Nee, danke, ich brauch’ keine Hilfe«.

Sind Sie von Geburt an behindert oder war das ein Unfall?

Inal: Von Geburt an, und dadurch kenne ich es auch nicht anders.

Sind Sie dann auch auf eine spezielle Schule gegangen?

Inal: Das war so eine gemischte Schule. Da waren auch Leute, die laufen konnten, die so fit waren wie ihr. Das war so eine Gesamtschule und das Konzept, das hat einfach super hingehauen.

Da gab es also keine Probleme?

Inal: Ne, man wurde dann auch immer offener und das hat gepasst. (ZmS)

Jana Lewerenz und Franziska Schmid, Albert-Einstein-Gymnasium Reutlingen, Klasse 9a