Logo
Aktuell INTERVIEW

Das Gericht, das über den Staat wacht

KARLSRUHE. Am 23. November habe ich mit einer Gruppe aus Reutlingen das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe besucht. Ich habe an einer mündlichen Verhandlung des Ersten Senats und an einer Führung durch das Gerichtsgebäude teilgenommen. Aufgabe des Bundesverfassungsgerichtes ist es, dafür zu sorgen, dass das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland eingehalten wird - es wacht quasi über den Staat. Hierbei geht es zum einen um Rechtsstreitigkeiten zwischen den staatlichen Organen, zum anderen um Verfassungsbeschwerden von Bürgern.

Das Bundesverfassungsgericht hat zwei Senate mit jeweils acht Richtern. Es handelt sich bei den zwei Senaten um zwei eigenständige Gerichte. Vorsitzender des Ersten Senats ist der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Professor Ferdinand Kirchhof; Vorsitzender des Zweiten Senats ist der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Professor Andreas Voßkuhle.

Das Gebäude des Bundesverfassungsgerichts ist absichtlich mit viel Glas gebaut worden. Damit soll verdeutlicht werden, dass die Rechtsprechung des Gerichts transparent sein muss. In dem Gebäudekomplex befinden sich der Sitzungssaal, die Dienstzimmer der Richter und der Mitarbeiter, eine große Bibliothek sowie verschiedene andere Räume. Besonders beeindruckend ist ein großes Beratungszimmer mit gemalten Porträts der bisherigen Gerichtspräsidenten. Am Eingang des Gebäudes wurden alle Besucher von Polizisten wie auf einem Flughafen kontrolliert. Man musste angemeldet sein und seinen Ausweis vorzeigen.

An dem Tag, an dem ich beim Bundesverfassungsgericht war, wurde über das Demonstrationsrecht auf dem Frankfurter Flughafen (Fraport) verhandelt. Es ging dabei um Julia Kümmel, die am 11. März 2003 an einem Abfertigungsschalter des Fraport gegen Abschiebungen von Ausländern unter Mitwirkung privater Fluggesellschaften demonstriert und Flugblätter verteilt hatte. Ihr wurde daraufhin von der Fraport AG, der Betreiberin des Frankfurter Flughafens, ein dauerhaftes Flughafenverbot erteilt. Im Falle, dass sie es nochmals tun sollte, wurde ihr Strafanzeige wegen Hausfriedensbruch angedroht.

Trotz dieser Ankündigung demonstrierte Frau Kümmel mit weiteren Aktivisten erneut am 17. Juni 2004. Daraufhin klagte sie vor den Zivilgerichten auf Feststellung, dass ihre Meinungsfreiheit sowie ihr Demonstrationsrecht durch die Fraport AG, die hier als Teil der öffentlichen Hand agiere, verletzt worden seien. Bisher blieb sie in allen Instanzen erfolglos.

Beim Bundesverfassungsgericht ging es vor allem um die Frage, ob die Fraport AG, die mehrheitlich der öffentlichen Hand gehört, unmittelbar an die Grundrechte gebunden ist, obwohl es sich bei ihr um eine privatrechtliche Gesellschaft handelt. Außerdem wurde darüber gestritten, ob das dauerhafte Flughafenverbot angemessen und verhältnismäßig war. Die Verhandlung war sehr spannend, auch wenn die Stellungnahmen einiger Prozessbeteiligter eher langatmig waren. Nachdem uns Professor Ferdinand Kirchhof durch das Gebäude geführt hatte, durfte ich ihm noch ein paar Fragen stellen.

ZmS: Könnten Sie sich in ein paar kurzen Worten beschreiben?

Ferdinand Kirchhof: Ich bin 60 Jahre alt und komme aus einer Juristenfamilie. Neben meiner Tätigkeit als Bundesverfassungsrichter bin ich Jura-Professor an der Universität Tübingen.

Wie wird man Verfassungsrichter?

Kirchhof: Man wird von einem Politiker vorgeschlagen; in meinem Fall war das Erwin Teufel, der frühere Ministerpräsident von Baden-Württemberg. Danach wird man vom Bundestag oder Bundesrat berufen und vom Bundespräsidenten ernannt.

»Der spannendste Fall: die Entscheidung über Hartz IV«
Was war Ihr spannendster Fall?

Kirchhof: Da muss ich erst einmal überlegen (-). Ich glaube, das war die Entscheidung über Hartz IV. Damals mussten wir überlegen, ob der Gesetzgeber den Satz von 359 Euro im Monat richtig berechnet hat. Wir mussten hierbei auch die Jugendlichen berücksichtigen, die zum Beispiel Material für die Schule brauchen. Wir haben am Ende so entschieden, dass wir gesagt haben, der Gesetzgeber muss noch mal darüber nachdenken und bis zum 31. Dezember 2010 eine Neuregelung vorschlagen.

Wie lange ist man Verfassungsrichter?

Kirchhof: Bis man 68 Jahre alt ist, maximal aber zwölf Jahre.

Wann und warum wurde das Bundesverfassungsgericht gegründet?

Kirchhof: Das Bundesverfassungsgericht wurde im Jahr 1951 gegründet, um so etwas wie die Nazi-Diktatur und den Zweiten Weltkrieg in Zukunft zu verhindern. Durch das Prinzip der Gewaltenteilung steht die Justiz selbstständig neben den anderen Gewalten. Wir beim Bundesverfassungsgericht entscheiden über die Auslegung des Grundgesetzes.

Welche Aufgaben haben die beiden Senate?

Kirchhof: Der Erste Senat ist vor allem für die Bürgerbeschwerden zuständig; der Zweite Senat kümmert sich um Beschwerden zwischen den Verfassungsorganen.

Lassen Sie sich manchmal durch die Medien oder die öffentliche Meinung beeinflussen?

Kirchhof: Eigentlich nicht, nein. Auch wenn über eine Sache, wie zum Beispiel jetzt über Stuttgart 21, sehr viel in den Medien berichtet wird, beeinflussen mich die Berichte in meiner juristischen Meinung nicht.

Was macht ein Verfassungsrichter in seiner Freizeit?

Kirchhof: Am liebsten jogge ich um die Achalm, fahre Fahrrad und lese gute Bücher. Ich interessiere mich auch sehr für Flugzeuge.

Herr Professor Kirchhof, ich danke Ihnen für das Gespräch. (ZmS)

Jonas Reisser, Friedrich-List-Gymnasium Reutlingen, Klasse 9

www.gea.de/zms