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Wie zwei Redakteure zu ihrem Beruf und zum GEA kamen

Innerhalb der Kampagne Journalismus zeigt Gesicht erzählen zwei Redakteure des Reutlinger General-Anzeigers, wie sie zum Journalismus gekommen sind und warum sie immer noch dafür brennen.

MÜNSINGEN. Heinrich Schliemann. Ernst-Ludwig Kirchner. Karl May. Drei Namen, die auf den ersten Blick nicht viel gemein zu haben scheinen. Aber sie gehören zu meiner Geschichte und erklären, warum ich Journalistin werden wollte und es bis heute mit Leib und Seele bin.

Bücher über das Leben von Heinrich Schliemann lesen sich wie Romane. Er war ein Visionär, der sich auf die Spuren von Homer begab. Er hatte ein Ziel vor Augen, hat an etwas geglaubt, und alles daran gesetzt, Troja zu finden. Ein Entdecker. Der Maler Ernst-Ludwig Kirchner hat die Welt abgebildet, nicht wie sie ist, sondern wie er sie gesehen hat – und wie sie vielleicht doch war. Karl May – als Kind habe ich seine Abenteuerromane über Winnetou, Old Shatterhand und Hadschi Halef Omar verschlungen. Er beschrieb die Landschaften, als habe er sie selbst bereist. Am Ende war klar: Alles fake. Gefunden hat Schliemann nicht den Schatz des Priamos. Kirchner schuf sich ein Pseudonym, unter dem er Artikel über sich selbst und seine Kunst schrieb, um sein Werk objektiv darzustellen. Und Karl May hat nie die Länder betreten, in denen er seine Helden agieren ließ.

Die Wahrheit sehen, genau hinschauen, informieren und einordnen: Das war genau das, was ich wollte, nachdem meine Berufswünsche – bildende Künstlerin oder Schriftstellerin – vom Vater als brotlose Kunst abgeschmettert wurden und ich zumindest ein Kunstgeschichts- und Germanistikstudium beginnen konnte. Ich zog los ins Leben, noch gut in Erinnerung, wie ich bei Mahnwachen saß, als der Golfkrieg ausbrach, wie ich die Korrespondenten in den Fernsehnachrichten bewunderte, die von vor Ort berichteten. Damals in den 1990er-Jahren holte mich ein Sportredakteur ins Team der Tageszeitung Trierischer Volksfreund. Ich schrieb meine ersten Artikel über die Spiele der Trierer Eishockeymannschaft. Was für ein Wahnsinns-Gefühl, montagmorgens die Zeitung aufzuschlagen und dort meinen Namen zu lesen! Ich wollte mehr.

Schnitt. Drei Jahre – von 2016 bis Anfang 2019 – habe ich in Thüringen als Redakteurin gearbeitet. Eine Zeit, die mich nachhaltig geprägt hat. Ost und West – das existiert doch nicht mehr. Für mich damals zumindest nicht, die meiste Zeit meines Lebens kenne ich Deutschland als ein Land. Aber 30 Jahre nach dem Mauerfall gibt es in den »neuen« Bundesländern immer noch Ressentiments gegenüber dem Westen, viele Menschen fühlen sich abgehängt, sind unzufrieden, und den Medien gegenüber herrscht Skepsis. Mangelndes Vertrauen in Politik UND Zeitungen – ein Spannungsfeld, das einen Journalisten besonders fordert und auffordert, genau hinzuschauen, auf Zwischentöne zu horchen, den Menschen Orientierung zu geben und alles kritisch zu hinterfragen, sich nicht einschüchtern zu lassen.

Nach einem Artikel über Hetz- und Hasskommentare im sozialen Netzwerk Facebook, den ich veröffentlicht hatte, flatterte mir ein anonymer Brief in die Redaktion – Absender: Thüringer Patrioten – mit eindeutigen Drohungen. Ich habe Anzeige erstattet. Leider kann die Staatsanwaltschaft die Verfasser nicht ermitteln. Das Verfahren ist eingestellt. Ich hingegen zeige Gesicht – für das und mit dem, was ich schreibe. Wenigstens wird einem der Kommentatoren, einem Holocaust-Leugner, nun der Prozess wegen Volksverhetzung gemacht. Ich bin als Zeugin geladen und werde aussagen. Ich hoffe, dass meine ehemaligen Kollegen zum Verhandlungstermin kommen und darüber berichten.

Meine Leidenschaft für den Beruf ist ungebrochen, und der gehe ich nun beim Reutlinger General-Anzeiger nach – möglichst bis zu meiner Rente.

Cordula Fischer, Regional-Redakteurin im GEA-Büro in Münsingen.

REUTLINGEN. Darüber nachgedacht habe ich eigentlich erst wieder, als mir der Deutsche Journalisten-Verband eine Urkunde überreichte. Weil ich seit über 40 Jahren Mitglied der Journalisten-Gewerkschaft bin. Jetzt schreibe ich also seit über vier Jahrzehnten, Volontärszeit, freie Mitarbeit und gymnasiale Schülerzeitungen nicht eingerechnet. Fünf Jahrzehnte kommen da zusammen. Und auch heute sage ich, dass ich das wahnsinnige Glück habe, in einem wunderbaren Beruf zu arbeiten. Das Ende sehe ich nicht, kein Gedanke, einmal Journalist, immer Journalist.

Und das kam damals so, weil mich einer ansprach, der wirklich wichtig für mich wurde. Der Lokalchef des Sauerländischen Volksblattes in Olpe. Als in einer eindrucksvollen WDR-Dokumentation letztens der Bau der Biggetalsperre rekapituliert wurde, lief in Archivaufnahmen auch ein Zeitungsbote durchs Bild, auf der Tasche stand der Schriftzug meiner alten Zeitung. Als Anfang der 60er-Jahre des letzten Jahrhunderts Schaufelbagger und riesige Bulldozer das Tal der Bigge eroberten und alte Ortschaften dem Erdboden gleich machten, bin ich mit neun, zehn Jahren immer mit den Lastern mitgefahren und habe darüber geschrieben. Nur für mich, weil ich das eindrucksvoll fand.

Irgendwann saß ich in der Redaktion als freier Mitarbeiter an der Schreibmaschine, Lokales und Sport. Meinen ersten Artikel habe ich über die regionale Frauenvereinigung der CDU geschrieben, da wollte keiner hin. Am anderen Morgen einen Dreispalter mit Bild im Blatt zu sehen, war gewaltig, es war der Anfang. Noch ein, zwei Jahre bis zum Abitur, aber mein Berufswunsch stand schon nach den ersten Versuchen unverrückbar fest. Nichts anderes kam für mich infrage. Journalist, schreiben, die Welt kritisieren, im Idealfall verändern, immer am Ball bleiben, öffentlich stattfinden.

Es gab einen Groschen für die Zeile und fünf bis zehn Deutsche Mark für das Bild nach Größe, schwarz-weiß, in der Dunkelkammer selbst entwickelt. Ich weiß noch, wie ich meine erste Seite entworfen, wir sagen gespiegelt habe. Und ich weiß auch noch, wie der Lokalchef ein mit viel Engagement geschriebenes Manuskript vor meinen Augen zerriss mit den Worten: Das schreiben wir dann noch mal, aber erheblich anders. Von den ersten Versuchen bis zum Volontariat waren es nur kleine Schritte. Studium in Bonn und Köln und zwischendurch immer wieder Redaktion in Olpe. Nach dem Volontariat Redaktionsvertretung, das Schreiben hat mich zwischendurch mehr interessiert als das Studium.

Mein Lokalchef war ein Typ, trinkfest, aber alles andere als arbeitsscheu. Die Manuskripte mussten spätnachmittags zum Bahnhof, die Bahn brachte sie nach Altena zum Kreisblatt, dort wurde gedruckt. Als ich das erste Mal abends Umbruch hatte in Altena und die alte Rotation anlief, es war Faszination pur, meine Welt. Das Volksblatt gibt es schon lange nicht mehr. Nächste Station war die Westfälische Rundschau, nach dem Examen zum General-Anzeiger in Bonn. In die Sportredaktion. 1984 Wechsel zum Sport-Informations-Dienst. Der SID besaß für mich magische Anziehungskraft, es war die Erfüllung eines Traumes. Zwei Jahrzehnte blieb ich, aber irgendwann musste es wieder Zeitung sein.

Kurz nach Reutlingen, dann zu Michael Girardet, Verleger in Düsseldorf. Sportchef bei der Westdeutschen Zeitung an der Königsallee. Aber da gab es dann noch einen anderen Verleger, Valdo Lehari jr., wir hatten uns in Bonn erstmals getroffen. In Bonn General-Anzeiger, in Reutlingen General-Anzeiger, irgendwie schließen sich immer Kreise. (GEA)

Dr. Christoph Fischer, Chefredakteur des Reutlinger General-Anzeigers.