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Aktuell Leserbrief

»Mangel an Einsicht und Willen«

Zum Artikel »Die Tücken des Gehweg-Sharings« vom 15. Oktober (per E-Mail)

Dieses Jahr machte ich mich auf, Deutschland mit dem Fahrrad zu queren: von Aachen ganz im Westen bis Görlitz an der Grenze zu Polen. In den etwa drei Wochen hatte ich viel Zeit zu überlegen, was Radfahren in Deutschland bedeutet, auch im direkten Vergleich zu den Niederlanden, wenigstens zu dem Teil um Roermond, den ich befahren habe.

Es gibt sie, die guten Radwege in Deutschland. Aber viel zu oft ist man gezwungen, über schlechte Wege zu fahren oder direkt auf Straßen. Oder auf Gehwegen, wenn das Radfahren dort ebenfalls erlaubt ist.

Beides, das Fahren auf einer Straße und das Fahren auf Gehwegen, ist nicht nur unerfreulich, sondern potenziell ge-fährlich. Für Autofahrer, Radfahrer und Fußgänger. Wie es aussieht, betrachten die Verkehrsplaner Radler entweder als langsame Autos oder als schnelle Fußgänger. Beides trifft nicht zu, beide Annahmen führen zu Konflikten.

Erst, wenn (E-)Radfahrer – zusammen mit Nutzern anderer Fortbewegungsmittel, die ähnliche Geschwindigkeiten haben, wie zum Beispiel E-Scooter – als eigene Kategorie erkannt und behandelt werden, werden wir sicherere und bessere Wege schaffen.

Das klingt sehr fordernd, ist bestimmt auch nicht einfach umzusetzen, hilft aber letztlich allen Verkehrsteilnehmern: Autofahrer werden mindestens entlastet, idealerweise sogar ermutigt, auf ein Rad umzusteigen. Mehr als einmal während meiner Tour mussten auf den Straßen Autos hinter mir »herkriechen«; wäre mehr Verkehr gewesen, hätte ich schnell einen Stau verursacht. Mit einem eigenen Wegenetz passiert das nicht. Fußgänger müssten nicht fürchten, von den deutlich schnelleren Radlern erschreckt oder sogar angefahren zu werden. Und Radfahrer wären sicherer unterwegs. In und um Roermond haben Radler ein eigenes Netz, das ihnen sogar Vorfahrt vor den Autos gibt.

Wenn selbst in den Niederlanden Platz für einen solchen Ausbau vorhanden ist, kann mangelnde Fläche für Deutschland kein Argument sein. Es mangelt eher an Einsicht und Willen. Vernünftig nutzbare Wege für Radfahrer sind eine wichtige Maßnahme für eine Verkehrswende, die wir dringend benötigen.

 

Andreas Tschunkert, Reutlingen