Baschar Al Assad ist weg – 51 Jahre Folterdiktatur durch die Familie sind beendet. Die Bilder der geöffneten Gefängnisse gehen um die Welt. Männer, die Jahre oder Jahrzehnte in diesen Folterkellern verbrachten, kommen ans Tageslicht, Kinder sehen zum ersten Mal Sonnenstrahlen. Familien und Freunde stehen mit Tränen in den Augen vor den Toren. Es sind Tränen der Hoffnung und der Angst. Es wird Jahre dauern, bis diese körperlich geschundenen und seelisch traumatisierten Menschen wieder in einen Alltag zurückkommen können. Oder die Familien warten vergeblich, weil ihre Lieben nicht mehr am Leben sind.
Die ersten umgehenden Kommentare von Politikern in Deutschland: Rückkehr, Abschiebung, Fluchtgrund entfällt. Diese schamlose Reaktion hat mich mindestens so schockiert, wie das Remigrationspapier der AfD. Mir scheint die Brandmauer gegen rechts neu ausgerichtet.
Der aus der Versenkung wieder auferstandene Jens Spahn arbeitet wohl schon mal an seinem Profil für ein Ministeramt in einer möglichen neuen Bundesregierung, packt 1.000-Euro-Kuverts und bestellt die Flieger. Empathie? Fehlanzeige. Für Manuel Hagel, der in Baden-Württemberg Ministerpräsident werden will, bedeutet das Ende der Diktatur vor allem, dass hier endlich klare Ansagen gemacht werden können. Unterstützung beim Wiederaufbau gäbe es nur, wenn Syrien liefere – sprich ihre Staatsbürger zurücknimmt. Geben und Nehmen sind sein Motto. Altes Testament? Das klingt befremdlich.
Geben kann das bürgerkriegsgebeutelte Land nichts. Vordringlichste Aufgabe ist, sich um die Versorgung der Menschen vor Ort zu kümmern. Auch frage ich mich, ob Herr Hagel über die Situation in Syrien Bescheid weiß. Die Übergangsregierung besteht aus Männern, die vor Kurzem noch bei der Al-Nusra-Front kämpften und ihren Eid Al Qaida gegenüber abgelegt hatten. Sie geben sich momentan moderat, aber wer weiß, was sie tun, wenn sie an der Macht sind?
Sie versprechen, mit Assads Staatsdienern zusammenzuarbeiten. Sunniten mit Alewiten? Und der sunnitische IS scharrt schon im Südosten mit den Hufen, die schiitischen Rebellen im Süden waren schon an der Eroberung von Damaskus beteiligt.
Israel bombardiert von Westen und seine Soldaten besetzen das Gebiet um den Berg Hermon. Die Türkei hat bereits Teile von syrisch Kurdistan okkupiert und terrorisiert mit bewaffneten Drohnen aktuell die Bevölkerung rund um Kobani. Ihr formuliertes Ziel ist die Vertreibung der kurdischen Bevölkerung auch östlich des Euphrats. Geopolitik? Nicht ersichtlich. Ich empfehle Herrn Hagel einen Blick über die Grenzen von the Länd.
Sicher gehen die Herren der Christdemokraten an Weihnachten in die Kirche. Vielleicht gibt es den einen Pfarrer oder die andere Pfarrerin, die von der Zeit von Maria und Josef berichten und von Frieden und Menschlichkeit. Bitte gut zuhören!
Warum steht nicht im Vordergrund, dass all die syrischen Ärzte, Pfleger, Busfahrer, Ergotherapeutinnen, Erzieherinnen, Kfz-Mechatroniker und viele mehr sich seit zehn Jahren hier erfolgreich einen Neuanfang erarbeitet haben? Sie haben hier einen neuen Lebensmittelpunkt, die Kinder durchlaufen den Kindergarten und die Schule. Sie sind unsere Nachbarn und wir brauchen sie auch alle.
Fachkräftemangel? Mich wundert’s nicht, wenn die Resonanz auf die weltweite Werbung nicht erfolgreich ist. Warum sollte eine Person mit Berufsausbildung ihre Heimat verlassen und in ein Deutschland gehen, in dem ihre Arbeitskraft willkommen ist, nicht aber der Mensch.
Susanne Sauer, Bad Urach