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Aktuell Leserbrief

»Es sind nicht immer die anderen schuld«

Zum Interview »Mich stört, wenn Macht übergriffig wird« vom 17. August (per E-Mail)

Die Interviews des GEA im Teil Politik sind ja eher Plattformen für Statements von Politikern oder öffentlichen Personen aus und um Politik. Zu diesen Interviews gäbe es fast immer kritische Anmerkungen. Sei es, wie es wolle, wenn der GEA so eine Art Interview haben will, wo die Interviewpartner ohne Kritik ihre Botschaften veröffentlichen können – auch gut. Frage – Antwort – nachgefragt? Tatsächlich war beim Interview mit Uwe Tellkamp zum Schluss doch noch eine kritische Bemerkung des Interviewers zu lesen: Dass Tellkamp sich in seiner Jugend für eine kritische Mitschülerin einsetzt und jetzt für einen menschenverachtenden Hetzer, nämlich Björn Höcke – Respekt!

Herauszuhören ist bei Tellkamps Reden deutlich, wie ungerecht er es empfindet, in eine rechte Ecke gestellt oder als Nazi deklariert zu werden, wenn die eigene Meinung nicht »woke«, sondern kritisch gegen Asylanten, das Gendern oder Grüne ist. Die Überschrift des Interviews heißt: »Mich stört, wenn Macht übergriffig wird«. Dass die Rechtsradikalen in Sachsen mehr als übergriffig sind, weil sie sich »mächtig« fühlen, wird ausgeklammert. Dass Deutschland als reiches Land mit seiner unsäglichen Kriegsgeschichte eine Verantwortung für Asyl hat, dass die Klimaerhitzung menschengemacht ist, dass Frauenrechte gestärkt werden müssen, dass wir alle nur den einen Planeten haben, darüber war der allgemeine Konsens schon ausgeprägter.

Inzwischen haben wir »alternative Fakten«, jeder kann sich aussuchen, was er glauben will. Und hoffentlich ohne den Geldbeutel oder die Bequemlichkeit zu berühren. Sollen die anderen und »die da oben« die Sache doch richten. Nachwendeproletarismus fing an mit »Das wird man ja noch sagen dürfen« und Pegida- Spaziergängen. »Jetzt sind wir dran«, geht dann über in »Alles für Deutschland«, warum nicht gleich »Alles den Deutschen«? (…)

Tellkamp kritisiert viel, reflektiert wenig und völlig unausgewogen. Er fordert viel Verständnis für seine sächsischen Mitbürger, die sich benachteiligt fühlen und daher aggressiv sind, andere bedrohen und einschüchtern. Die sind dabei nicht zimperlich. Kein Wort verliert er über deren Opfer, die sich in ihrer eigenen Heimat nachts nicht allein auf die Straße trauen, weil sie vielleicht homosexuell, Grüne und Sozialisten oder einfach nicht deutsch oder rechts genug sind. Die haben Angst, verfolgt oder verprügelt zu werden.

Uwe Tellkamp kann öffentlich und im GEA seine Meinung sagen, und über Themen muss man reden. Allerdings in einer Zeitung nicht kommentarlos. Es gibt nicht für jedes Problem eine für jeden befriedigende Lösung, manchmal gar keine. Auch damit muss man leben. Aber es sind nicht immer die anderen schuld. Und am wenigsten die Schwachen.

 

Thomas Hauschild, Engstingen