REUTLINGEN. Nein, ihren vollen Namen mögen sie nicht in der Zeitung lesen. »Wir haben auch andere Berufe, wo das blöd werden kann«, sagt Jörg. Dabei finden Steffen (56) und Jörg (59), dass sie in einer wichtigen Mission unterwegs sind: Sie wollen helfen, Cannabis salonfähig machen. Dazu haben sie in Reutlingen den »Cannabis Social Club Blumentheo e.V« gegründet. Steffen ist zweiter Vorsitzender, Jörg Schatzmeister und »Büroperle«, wie sein Kollege frotzelt.
Ende Juli wurde ihnen die Genehmigung für den ersten legalen und lizenzierten Cannabis-Anbau in Reutlingen erteilt, einer von mittlerweile 13 in Baden-Württemberg, die bisher realisiert wurden. Die meisten Initiativen scheiterten an der Anbau-Location, erzählen die beiden.
Strenge Vorschriften für die Cannabis Social Clubs
Das seit April 2024 gültige Cannabisgesetz regelt nicht nur die Voraussetzungen für einen legalen Eigenanbau, sondern steckt auch den Rahmen für die nun bundesweit entstehendenCannabis Social Clubs (CSC). So dürfen die Anbauvereinigungen das Rauschmittel ausschließlich an ihre Mitglieder zum Selbstkostenpreis weitergeben. Ein Club kann aus maximal 500 Mitgliedern bestehen. Jedes Mitglied bekommt maximal 50 Gramm Cannabis pro Monat, Heranwachsende zwischen 18 und 21 Jahren maximal 30 Gramm. In Reutlingen fallen beim Blumentheo dafür Mitgliedsbeiträge zwischen 67,50 und 630 Euro monatlich an. (GEA)
Seit 2023 sind die Reutlinger mit dem Thema beschäftigt. Mit dem neuen Cannabis-Gesetz wurden Wege geebnet, ganz legal an den Stoff zu gelangen. Zugleich sind die Wege mit Hürden gespickt. Steffen und Jörg wissen ein Lied davon zu singen. Sicherheitsvorschriften, Hygienevorschriften, Präventionskonzepte: Zu allem müssen Konzepte bei den Behörden vorgelegt werden. Teils intensiver Kontakt mit Polizei, Landratsamt und Regierungspräsidium war vonnöten, ehe die Genehmigung auf dem Tisch lag.
»Wir sind ganz normale Leute «
»Anstrengend« sei die deutsche Bürokratie, sagt Steffen. Zugleich sehen beide ein, dass es kein Kamillentee ist, der da unters Volk gebracht werden soll. Sondern eine Droge, die immer auch die Gefahr des Missbrauchs birgt. »Wir sind normale Leute, haben keinen Punkt in Flensburg«, sagt Steffen. »Wir wollen alles richtig machen.«
Im August ging es dann auf die Baustelle in einer Halle in einem Reutlinger Industriegebiet. Dort hieß es erstmal: ackern und die entsprechende Infrastruktur schaffen. Diverse Um- und Einbauten waren nötig. In drei Räumen können nun Samen unter künstlichem Licht aufgezogen, fertige Pflanzen geerntet und getrocknet werden. Klimaanlage, Entfeuchter, stete Temperaturkontrolle, alles muss passen, damit die knapp 300 Pflanzen ihre drei bis vier Ernten im Jahr bringen.
»Wir verharmlosen das Thema Sucht nicht«
Bekannte haben geholfen, haben Material für Bauarbeiten gespendet. »Wir sind jeden Tag hier«, sagt Jörg. Er bildet zusammen mit Steffen und dem ersten Vorsitzenden Sascha die tragende Säule des Vereins. 50.000 bis 60.000 Euro haben die drei Vorstände nach eigenen Angaben vorfinanziert.
Warum der Aufwand? Das Rauschmittel werde »dämonisiert, kriminalisiert«, finden die beiden. »Und wir sind überzeugt, dass Cannabis aus der Illegalität ’raus gehört und auch aus der Schmuddelecke.« »Kiffer« nenne man Cannabiskonsumenten. Aber die vielen Freunde des regelmäßigen Alkoholkonsums werden als »Trinker« nur bezeichnet, wenn ihre Sucht gesellschaftlich missbilligte Erscheinungen zeitigt.
Steffen trinkt keinen Alkohol, raucht aber Cannabis mehrfach die Woche »abends zur Entspannung«. Er schätzt vor allem die beruhigende Wirkung des darin enthaltenen THC (Tetrahydrocannabinol), das die berauschende Wirkung verursacht. »Gut drauf bin ich auch ohne.« Rausch sei indes »etwas Gutes«, findet er. Und jeder solle selber darüber entscheiden, ob er einen haben will. Bezeichnet er sich als süchtig? Steffen sagt Nein. Spricht von »freier Entscheidung« und »Genuss«.
Jörg rührt indes kein Cannabis an. Er bezeichnet sich als »Partytrinker«, greift dann gern zum Vodka. Rausch gehöre zu einer lustigen Party und bereichere ganz allgemein das Leben, sagt auch er.
Betrunkene randalieren dabei auch gern mal. Cannabiskonsum sprengt eher keine Feste. »Der Kiffer schläft einfach ein«, lacht Steffen.
Beide kritisieren Doppelmoral im Hinblick auf den allgegenwärtigen leichtfertigen und akzeptierten Umgang mit Alkohol. Das sei ok für Erwachsene. Dass Kinder ab 14 begleitet das »Kulturgut Bier« zu sich nehmen dürfen, finden sie schon befremdlicher. »Da wird mit zweierlei Maß gemessen.«
Der Club akzeptiert nur Mitglieder ab 21 Jahren. Vorgeschrieben ist in den Cannabis-Vereinen auch ein »Präventionsbeauftragter«. Steffen hat diesen Posten übernommen. Wer sichtlich berauscht seine Ration abholen will, bekomme nichts. Stattdessen gibt es Informationsmaterial und ein Gesprächsangebot, in dem der Vorstand auch auf die Drogenhilfe verweisen wird.
Moderater Cannabisgenuss gilt gemeinhin als gesundheitlich verträglicher als Alkohol- oder Zigarettenkonsum. Fördert Cannabis als softer Einstieg in härtere Sachen Drogenkarrieren? Darüber streitet die Forschung weiterhin.
Ein Zusammenhang von Drogenkonsum und psychischen Auffälligkeiten wird insbesondere auch bei junge Menschen gesehen. Doch auch hier setzen die Cannabis-Anhänger Fragezeichen: Was ist Henne und was Ei? Haben die Jugendlichen vorher schon Probleme, die sie mit dem Rausch zu dimmen versuchen? Jörg räumt auch ein, dass Menschen auf Drogen psychisch unterschiedlich ansprechen. »Wir verharmlosen das Thema Sucht nicht«, beteuert Steffen. »Aber: Die Dosis macht das Gift.«
Drogenberater und Polizei sehen die Cannabis-Teillegalisierung teils kritisch. Steffen und Jörg sind überzeugt, dass die Social Clubs segensreiche Einrichtungen sind. »Durch die Legalisierung kommen Leute weg von Dealern, raus aus der Illegalität.« Die Gemeinschaft sorge für eine gewisse Kontrolle. Zudem sorge der Verein für ordentlichen Stoff. Der sei »bio, sauber und kontrolliert von der Behörde – wie das Reinheitsgebot beim Bier«, lacht Jörg. Auch im Hinblick auf den befürchteten Umstieg auf härtere Rauschmittel sieht Steffen Vorzüge: »Wer sich seinen Stoff in einer dunklen Ecke besorgt, tut dies oft bei jemanden, der noch was anderes im Mantel hat.«
Jetzt wünscht man sich beim »Blumentheo« nur noch eines: Mitglieder. Und deren Akquise ist gar nicht so einfach. Den Clubs ist verboten, Werbung zu machen. »Schleppend« läuft’s derzeit noch, sagen die beiden. (GEA)



