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Aktuell INTERVIEW

GEA-Verleger Valdo Lehari jr. erklärt, weshalb Presse so wertvoll ist

In einer komplexen Welt braucht es regionalen Qualitätsjournalismus, findet der GEA-Verleger Valdo Lehari jr.

Valdo Lehari jr. wird den GEA auch in Zukunft sowohl gedruckt als auch digital anbieten und weiterentwickeln. FOTO: SCHANZ
Valdo Lehari jr. wird den GEA auch in Zukunft sowohl gedruckt als auch digital anbieten und weiterentwickeln. FOTO: SCHANZ
Valdo Lehari jr. wird den GEA auch in Zukunft sowohl gedruckt als auch digital anbieten und weiterentwickeln. FOTO: SCHANZ

REUTLINGEN. Seit über 130 Jahren berichtet der Reutlinger General-Anzeiger über die Geschehnisse in der Welt und vor allem in der Region. Der Verleger und Geschäftsführer Valdo Lehari jr. führt das Verlagshaus in dritter Generation. Im Interview erklärt er, warum im 21. Jahrhundert eine Tageszeitung wichtiger denn je ist und wie eine Regionalzeitung in einer zunehmend globaleren Welt weiter bestehen kann.

GEA: Der GEA bietet jeden Tag viele interessante Berichte, Hintergründe, Interviews, Anzeigen und Informationen. Einen Überblick über das Weltgeschehen und die Region. Das ist doch ein tolles Angebot. Wieso startet der GEA dennoch eine Mehrwert-Serie?

Valdo Lehari jr.: Die Mehrwert-Serie wendet sich nicht nur an Menschen, die uns jeden Tag ihr Vertrauen schenken und den GEA schon über viele Jahrzehnte lesen, sondern an alle, die sich über den Wert und Mehrwert einer Tageszeitung Gedanken machen. Es ist immer wieder sinnvoll, vielleicht auch notwendig, dass wir den Abonnentinnen und Abonnenten des GEA unsere Arbeit erklären, den Aufwand und die Investitionen in unsere Produkte sowie die Vorteile, die unsere Kunden durch ein monatliches Abo haben. Unabhängig davon, ist es ein Mehrwert für die Gesellschaft und Demokratie, gut informiert zu sein und mitreden zu können. Zudem bietet der GEA täglich persönlichen Benefit wie Serviceangebote oder Anzeigen. Ich glaube, dass wir den Wert von geprüften Nachrichten, Hintergründen und journalistischer Arbeit – egal ob in gedruckten oder digitalen Angeboten – sowie die Tätigkeit der gesamten Belegschaft bis zu den Zustellerinnen und Zustellern mehr erklären müssen.

»Ich betrachte mich und alle Mitarbeiter als Angestellte der Demokratie«

Es gibt unzählige kostenlose Online-Portale, Anzeigeblätter und natürlich das Fernsehen. Warum braucht man bei dieser Fülle noch eine regionale Tageszeitung?

Lehari jr.: Zum einen haben Google und Facebook keine fest angestellte Redaktion und das Fernsehen ist eher national ausgerichtet und kann das tägliche Angebot aus unserem Hause nicht ersetzen. Zum anderen lebt die Redaktion einer regionalen Zeitung mit und bei den Menschen in Stadt und Land und kennt deren Sorgen und Nöte, sie ist direkt ansprechbar und verantwortlich. Eine seriöse Berichterstattung über Geschehnisse in der Region sowie die Einordnung von falschen und richtigen Informationen kann nur durch regionalen Qualitätsjournalismus erfolgen, auch dort, wo die Menschen leben und arbeiten. Mein Großvater hatte schon den Slogan »GEA-Leser wissen mehr«.

Was bietet ein regionaler Zeitungsverlag, was andere Medienangebote nicht in dieser Form leisten können?

Lehari jr.: Die Tageszeitung präsentiert auf einer Meta-Ebene kompakt, verlässlich und unabhängig jeden Tag die interessantesten Nachrichten und Hintergründe aus der Region, aus Politik, Wirtschaft, Sport, Kultur und Gesellschaft. Und auf gea.de bekommt man die ganze Woche und rund um die Uhr interessante Artikel, Videos und Bildergalerien aus der Region. Hinzu kommen zahlreiche exklusive Geschichten und Interviews. Die Menschen brauchen Orientierung, Analyse und Antworten auf Fragen in einer immer komplexeren Welt. Deshalb braucht es guten Journalismus. Eine gute Geschichte informiert, berührt und unterhält die Leserschaft, vor allem dann, wenn man sie nicht kennt und nicht aktiv danach sucht. Außerdem sind wir für unsere Kunden als vierte Gewalt wie in einer ombudsähnlichen Funktion.

Der GEA ist die einzige selbstständige Zeitung in der Region Neckar-Alb mit eigener Vollredaktion, in der von der Lokalnachricht bis zum politischen Kommentar alles in Reutlingen und den vier Außenredaktionen erstellt wird. Warum ist Ihnen das als Verleger so wichtig?

Lehari jr.: Wir sind die publizistische Stimme »aus der Region für die Region« und wollen täglich das Weltgeschehen und die lokalen Ereignisse betrachten und bewerten. Viele Themen aus Brüssel, Stuttgart oder Berlin haben unmittelbare Auswirkungen auf die Menschen hier. Natürlich ist es aber auch eine Familientradition und eine Verpflichtung gegenüber meinem Großvater und meinen Eltern.

Sie sind Verleger einer Regionalzeitung mit über 130-jähriger Tradition. Was ist das Besondere, einen Verlag zu führen im Gegensatz zu einem anderen Unternehmen?

Lehari jr.: Historisch gesehen ist der Verleger derjenige, der die Vorfinanzierung eines journalistischen Angebots für die Leserschaft übernimmt. Das Schöne an dieser Aufgabe ist die Bandbreite der Tätigkeit, eigentlich ist es ein Beruf sui generis. Man hat mit allen Bevölkerungsteilen im Lesermarkt und Partnern im Werbemarkt zu tun, man trägt Mitverantwortung für die Demokratie und Gesellschaft und erlebt alle ökonomischen, kulturellen und sozialen Herausforderungen. Die Zeitungsbranche hat auch sehr viel mit Technologie zu tun, von Gutenberg bis zur Digitalisierung und deren Auswirkungen auf die Mediennutzung in der Bevölkerung. Der Verleger haftet und trägt die Verantwortung für das Unternehmen und stellt sich schützend vor die Redaktion und die gesamte Belegschaft. Dabei bleibt Kritik zuweilen nicht aus, in der Demokratie eine Normalität. Ich betrachte mich als einen Angestellten der Demokratie. Das gilt für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Verlags, vom Zusteller bis zum Redakteur.

Die Pressefreiheit ist sogar im Grundgesetz verankert. Warum ist die Presse so wichtig für das Funktionieren einer Demokratie?

Lehari jr.: Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Deshalb auch mein medienpolitisches Engagement seit Jahrzehnten. Die Freiheit und die Verantwortung müssen in einem symbiotischen Verhältnis zueinander stehen. Das heißt, Journalisten und Verleger müssen mit der Pressefreiheit verantwortlich umgehen. Es ist kein Freibrief für alles. In Europa und in den USA läuft in diesem Bereich einiges schief. Ich denke nur an Elon Musk und seinen Umgang mit dem Kurznachrichtendienst Twitter oder an die Oligarchen in Osteuropa, die Verlage als reines Vehikel ihrer Machtinteressen betrachten. Der Wert der Freiheit, die es immer wieder zu verteidigen und lebendig zu halten gilt, wird erst erkannt, wenn man sie nicht mehr hat. Das alles ist für uns auch eine Verpflichtung im Nachkriegsdeutschland. Lediglich knapp über 20 Prozent der Weltbevölkerung haben diese Freiheitsrechte. Das größte Risiko für eine freiheitliche Zivilgesellschaft wären demokratiefreie Zonen ohne Journalismus und funktionierende, gesunde Zeitungsverlage. Die klassische Tageszeitung hat im Übrigen die Funktion und Fähigkeit, eine Gesellschaft zusammenzuhalten und einer Spaltung entgegenzuwirken.

Es gibt auch Leser, die die Pressefreiheit dadurch eingeschränkt sehen, dass Verlage angeblich vom Staat ferngelenkt werden. Was antworten Sie diesen Kritikern?

Lehari jr.: Manchmal würde ich mich freuen, wenn die Bundesregierung sich bei uns melden würde. Dann könnte ich denen direkt erzählen, was sie falsch machen. Ich weiß, dass dieses Bild in den Köpfen mancher Menschen steckt. Doch wenn nahezu alle Verlage darüber berichten, dass Russlands Präsident Putin die Ukraine angegriffen hat und dort einmarschiert ist, hat das nichts mit Gleichschaltung zu tun. Das ist einfach die Realität, die wir abbilden müssen. Klar ist auch, dass sich der VfB Stuttgart in Abstiegsnöten befindet. Gleichwohl müssen wir die Kritik der Menschen ernst nehmen, auch gegen den Vorwurf des Mainstream-Journalismus. Wir müssen die Ursachen für solche Vorwürfe und für andere Meinungen respektieren, aber auch deren Gründe erforschen. Der GEA muss sich immer weiterentwickeln. Dabei helfen auch kritische, konstruktive und faire Anregungen aus der Bevölkerung und wir müssen näher zu den Menschen, dies haben uns diverse Wahlergebnisse schmerzlich aufgezeigt.

Als eigenständiges Unternehmen muss der GEA auch Geld verdienen. Welche Kosten entstehen bei der Produktion?

Lehari jr.: Zum einen haben wir einen Anteil der Gesamtkosten von über 50 Prozent für das Personal. Der größte Teil in der gesamten Kostenstruktur kommt aus dem Druck und der Herstellung sowie aus der Logistik und Zustellung. Das war früher ganz anders. Die Papierpreise haben sich verdoppelt, die Strom- und Energiepreise sind explodiert. Es gibt in Deutschland schon viele Gebiete, in denen sich die Zustellung nicht mehr rechnet. Die Ursachen dafür sind in der Politik auszumachen. Insofern haben wir gleichzeitig auch die große Herausforderung, für unsere Leserinnen und Leser neue Angebote und Produkte zu entwickeln, die Digitalisierung voranzutreiben und gleichzeitig sparsam mit den Ressourcen umzugehen.

Nun schwinden schon seit Jahren bei allen Zeitungsverlagen die Auflagen. Was unternehmen Sie gegen den Rückgang?

Lehari jr.: Grundsätzlich ist das Glas halb voll, denn die Tageszeitungen in Deutschland erreichen täglich rund 80 Prozent der Bevölkerung mit den gedruckten und digitalen Produkten. Auch die Zielgruppe der 14- bis 29-Jährigen nutzt in starkem Maße die Angebote aus den Zeitungsverlagen. Wir haben während der Corona-Pandemie ein gutes Versetzungszeugnis bekommen. Das Vertrauen der Bevölkerung in guten Journalismus ist enorm gestiegen, dies führte zu einer erhöhten Nachfrage und Reichweite des GEA. Das spornt uns an, das komplette Angebot des GEA unverändert weiterzuentwickeln und auszubauen – Sie können gespannt sein, es ist einiges in Vorbereitung.

Liegt die Zukunft dann im digitalen Vertrieb des GEA?

Lehari jr.: Es gibt einen großen Bevölkerungsanteil, der auch in Zukunft eine gedruckte Zeitung in der Hand halten will. Dennoch wird die Transformation ins Digitale weitergehen. Doch wir können und wollen unsere Kunden nicht zwingen, auf das Gedruckte zu verzichten.

Was unternimmt der GEA, um die jungen Menschen zu erreichen?

Lehari jr.: Gedruckt und digital entwickeln wir uns, wie gesagt, stets weiter. Seit langer Zeit haben wir schon die Kinder-Nachrichtenseite, die sicher auch die Erwachsenen gerne lesen. Wir werden auch wieder das »Zeitung macht Schule«-Projekt starten. Und wir holen junge Leute in die Redaktion, die neugierig sind und dazu beitragen, dass Themen ins Blatt kommen, die junge Menschen betreffen. Abgesehen davon informiert der GEA über Veranstaltungen und Programme, die sich direkt an junge Menschen wenden.

Warum sollen gerade junge Menschen Zeitung lesen?

Lehari jr.: Lesen bildet. Das gilt für junge wie für ältere Menschen. Die Zeitungslektüre hilft dabei, sich eine eigene Meinung zu bilden und zum mündigen Bürger zu werden. Zudem zeigen Untersuchungen, dass in Ländern mit erfolgreichen Medienkompetenz-Projekten in den Schulen und in der Ausbildung junge Menschen gebildeter und damit später wirtschaftlich erfolgreicher sind. (GEA)

SO GEHT’S WEITER

In der nächsten Folge der Mehrwert-Serie nehmen wir Sie an die Hand und zeigen Ihnen unsere GEA-Redaktion von innen – vom Start des Online-Dienstes früh morgens bis zu den letzten Korrekturen am Abend. Der Artikel erscheint am Dienstag, 9. Mai. (GEA) www.gea.de/vorteilswelt