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Der beste Platz ist mittendrin

Was Lokaljournalismus bewegen kann, warum er so spannend und manchmal auch so schwierig ist

Nachrichten und Geschichten aus Reutlingen liefert die GEA-Stadtredaktion, im Bild Redakteurin  Gabriele Küster.  FOTO: NIETHAMM
Nachrichten und Geschichten aus Reutlingen liefert die GEA-Stadtredaktion, im Bild Redakteurin Gabriele Küster. FOTO: NIETHAMMER
Nachrichten und Geschichten aus Reutlingen liefert die GEA-Stadtredaktion, im Bild Redakteurin Gabriele Küster. FOTO: NIETHAMMER

REUTLINGEN. Am ersten Tag meiner Ausbildung hatte niemand Zeit für mich. Die Kollegen in der Lokalredaktion im Unterfränkischen waren beschäftigt: Am nächsten Tag sollte ein Artikel in der Zeitung stehen, der mutmaßlich Teile der Stadtverwaltung aus den Angeln heben würde. Es ging um Mauscheleien bei Ausschreibungen und Auftragsvergaben. Der Lokalchef hatte die Geschichte recherchiert, und jetzt wurde jede einzelne Formulierung gedreht und gewendet. Alles wasserdicht? Ich als frischgebackene Volontärin bemühte mich, niemandem im Weg zu stehen – und genoss die prickelnde Atmosphäre. Am nächsten Tag gab es draußen den erwarteten Aufruhr. Einen spannenderen Auftakt fürs Berufsleben kann man sich als Lokaljournalistin kaum wünschen.

Warum entscheidet man sich für diesen Job? Weil man neugierig auf die Welt und die Menschen ist, weil man hinter die Kulissen schauen will, weil man Geschichten schreiben möchte, die die Leserinnen und Leser bewegen oder zumindest interessieren. Das gelingt nicht an jedem Tag, aber doch immer wieder. Jedenfalls habe ich das so erlebt an den diversen Stationen meines Berufslebens, und gerade auch beim Reutlinger General-Anzeiger. Über viele Themen, die anschließend in Reutlingen und der Region heiß diskutiert wurden (nicht immer zur Freude der Beteiligten), hat zuerst der GEA berichtet. Die nicht genehmigte Elektro-Ofen-Schlacke auf der Reutlinger Erddeponie Saurer Spitz, finanzielle Unregelmäßigkeiten bei der Wohnungsgesellschaft GWG, die Querelen zwischen Mitarbeitern und Führung bei der Bruderhaus-Diakonie oder die Bußgeld-Rekorde bei den Blitzern auf der B 27 sind nur einige Beispiele.

Haben Sie Fragen zu unserer Arbeit?

Mit der Kampagne »Journalismus zeigt Gesicht« wollen die baden-württembergischen Zeitungsverlage auf die Bedeutung des Journalismus hinweisen und die Arbeit der Journalisten transparent machen. Wie sieht der Alltag in der GEA-Redaktion aus? Wie gewichtet sie die Ereignisse in der Welt, im Land und in der Region? Wie entstehen Zeitungsseiten und Online-Angebot? Haben Sie weitere Fragen – vielleicht, warum Leserbriefe gekürzt werden oder wir nicht immer die Nationalität von Straftätern nennen? Wir erklären das und mehr gerne. Schicken Sie eine Mail an unseren Chefredakteur Dr. Christoph Fischer. Wir freuen uns auf Ihre Reaktionen.
christoph.fischer@gea.de

Eine der berührendsten Geschichten ist für mich immer noch jene über »Angelika M.«, eine Mitarbeiterin der Reutlinger Kreiskliniken, die sich vor Jahren an den GEA wandte und die große Verzweiflung des Pflegepersonals über die dünne Personaldecke, die unzulängliche Arbeitsorganisation und den daraus resultierenden Verlust an Menschlichkeit am Krankenbett schilderte. Es braucht großes Vertrauen in eine Redaktion, um so viele interne Details preiszugeben – auch wenn Angelika M.s richtiger Name nie genannt wurde. Die Verantwortlichen in der Klinikleitung und beim Landkreis reagierten damals offen und konstruktiv auf den Bericht, Veränderungen brachten laut Angelika M. Verbesserungen für das Personal. In der Zwischenzeit sind die Kreiskliniken wieder mitten in einer tief greifenden Umstrukturierung – und der GEA wird wieder hinschauen müssen, was diese für das Personal bedeutet.

»Wir bemühen uns, auf seröse Weise Öffentlichkeit herzustellen«

Gut, wenn eine Redaktion Dinge in Bewegung bringen kann. Aber es sind nicht nur die exklusiven Nachrichten, die guten Lokaljournalismus ausmachen. In diesen aufgeregten Zeiten, in denen jeder jede Behauptung ungeprüft und ungestraft in die Welt jagen kann und das Anhören anderer Ansichten aus der Mode kommt, bemühen wir uns, auf seriöse Weise Öffentlichkeit herzustellen für die Themen, die die Menschen in unserer Region bewegen. Dazu gehört, unterschiedliche Meinungen und Positionen darzustellen – zum Beispiel Naturschützer genauso wie Grundstücksbesitzer zu Wort kommen zu lassen, wenn es um Sinn oder Unsinn einer Baumschutzverordnung für Reutlingen geht. Die verantwortlichen Stellen zu befragen, notfalls mit Hartnäckigkeit und Nachdruck.

Dazu gehört auch, ein Forum zu bieten für die Meinung der Bürger, die von Entscheidungen betroffen sind. Der GEA tut dies vor Ort, im Blatt und in Online-Foren, die rege genutzt werden wie jüngst beim Start des neuen Reutlinger Buskonzepts. Welchen Schub die Presse einer Sache geben kann, haben eben erst die Pfron-stettener erfahren: Ihr deutlich und öffentlich geäußerter Unmut über die Mängel der neuen Busverbindungen auf der Alb hat dazu geführt, dass zumindest die ärgsten Unzulänglichkeiten behoben werden. »Wir müssen versuchen, dem Leser zu helfen, sich eine eigene fundierte Meinung zu bilden«, sagt ein Kollege. Also Hintergrund liefern, Fakten bereitstellen. Auch wenn es um so komplizierte Fragen wie die Krankenhausfinanzierung geht oder die Auswirkungen der gesetzlichen Änderungen bei der Grundsteuer für die Gemeinden in der Region, für die Hausbesitzer und Mieter. Oder um so emotional besetzte Themen wie die Tierversuche am Max-Planck-Institut in Tübingen. Es ist leicht, Wissenschaftler zu verurteilen. Doch warum und unter welchen Bedingungen dürfen Tierversuche gemacht werden, sind sie wirklich nötig und welche Alternativen gibt es? Die Meinungen dazu sind auch unter Forschern kontrovers, aber mit dem Hintergrund, den die GEA-Redaktion bereitstellte, waren die Zusammenhänge besser zu verstehen.

Und manchmal heißt guter Journalismus auch einfach dranbleiben. An Dauerbrenner-Themen wie dem Motorradlärm im Lautertal, dem Masterplan Radverkehr in Reutlingen oder der Regionalstadtbahn, sie immer wieder in die Öffentlichkeit zu holen, weil sie den Menschen auf den Nägeln brennen.

Das ist unser Anspruch – und nein, wir werden ihm nicht immer gerecht. An manchen Tagen sind wir unzufrieden mit uns, weil wir uns verheddern im vermeintlichen Pflichtprogramm, in den vielen Veröffentlichungswünschen von außen, in den offen geäußerten Erwartungen unterschiedlicher Interessengruppen, die mit ihren Anliegen in unser Blatt und unser Online-Angebot drängen. Wenn wir Fehler bei der Arbeit gemacht haben, ärgern wir uns.

»In der Redaktion gibt es oft hitzige Diskussionen«

Wir sind auch nicht immer einig in der Frage, was interessante und wichtige Themen sind und wie viel Platz wir welchem Ereignis geben sollen – da gibt es in der Redaktion oft hitzige Diskussionen. Oder Erklärungsnotstände, wenn ein junger Kollege die alten Hasen fragt, was am Aufmacher auf der Seite xy eigentlich lesenswert sein soll ... Seit man online sehr genau ablesen kann, welche Themen und Artikel gefragt sind, haben diese Diskussionen eine neue Dimension bekommen. Nicht alles, was die Redaktion für wichtig hält, geht von den Klickzahlen her »durch die Decke«. Trotzdem entscheiden wir uns immer wieder dafür, auch Themen Raum zu geben, die nicht auf große Einschaltquoten zielen. Aber die zum Beispiel soziale Randgruppen oder Menschen betreffen, die sonst keine Stimme hätten. Auch für sie fühlen wir uns verantwortlich.

Eins noch: Wir Redakteurinnen und Redakteure leben fast alle im GEA-Verbreitungsgebiet. Und weil wir hier gerne leben, haben wir ein großes Interesse daran, dass sich Reutlingen und die Region gut entwickeln. Auch das ist nicht die schlechteste Voraussetzung für guten Lokaljournalismus. (GEA)