Logo
Aktuell Stuttgart

Wohnungskäufer fühlen sich über den Tisch gezogen

Die Bauprojekte von Maylinving (links) und Instone liegen eng beieinander.  FOTO: BOCK
Die Bauprojekte von Maylinving (links) und Instone liegen eng beieinander. FOTO: BOCK
Die Bauprojekte von Maylinving (links) und Instone liegen eng beieinander. FOTO: BOCK

STUTTGART. Den Versuch ist es wert. »Könnte man denn zueinander finden?«, fragt der Richter im Saal des Stuttgarter Landgerichts in die Runde. Und schaut erwartungsvoll. Denn ein Vergleich, das ist klar, wäre für ihn der sinnvollste Weg, einen Rechtsstreit zügig zu beenden, der sehr lange dauern und ziemlich kompliziert werden könnte. Und bei dem es um sehr viel Geld geht.

Zum einen gilt das für die Kläger. Die junge Familie hat eine Wohnung im Neubauprojekt Mayliving am Stuttgarter Pragsattel gekauft. 2019 war das. Wie diversen anderen Interessenten sei ihnen damals Wohnen vom Feinsten versprochen worden, erzählt das Ehepaar vor Gericht. Kein Wunder, die Gegend im neuen Theaterviertel am Stuttgarter Pragsattel, dicht an Killesbergpark, Theaterhaus und Varieté, schien attraktiv. »Die Verkaufsgespräche verliefen positiv«, erinnert sich die Frau. Im Prospekt wurden lichtdurchflutete Wohnungen versprochen, auf Illustrationen war vor dem Gebäude mit seinen knapp 70 Wohnungen eine Wiese mit spielenden Kindern zu sehen. Von »Aussichten, um die Sie Ihre Nachbarn beneiden werden« war da die Rede.

Käufer fühlen sich getäuscht

»Uns beneidet niemand«, sagt die Frau heute. Denn Nachbarn gibt es tatsächlich – aber solche, mit denen die Käufer niemals gerechnet hätten. Denn in elf Meter Entfernung steht inzwischen das Gebäude eines Nachbarprojekts – sieben Stockwerke hoch und mit 250 Wohnungen. Geplant war das schon zum Kaufzeitpunkt, die Baustelle aber stand noch ganz am Beginn. »Hätten wir das gewusst, hätten wir die Wohnung niemals gekauft«, sagt das Ehepaar. Wie dunkel es dort sei, habe man erst ein Dreivierteljahr später bei der ersten Besichtigung des Rohbaus verstanden. Umziehen musste man trotzdem – die alte Wohnung war gekündigt.

Über 800 000 Euro hat die Familie für 120 Quadratmeter bezahlt. »Eine gewaltige Summe für uns«, sagt sie. Und weil es nicht nur einen großen Wohnblock direkt vor der Tür gab, sondern auch Bauverzögerungen und Mängel, fühlt man sich vom Verkäufer getäuscht. Und fordert 30 Prozent der Kaufsumme zurück.

Womit die Geschichte an dem Punkt ankommt, an dem es für einen anderen Beteiligten um eine noch viel größere Summe geht. Nämlich für die Firma, die die Wohnungen gebaut und verkauft hat, das Münchner Immobilienunternehmen Gieag. Denn das ist in diesem Fall schon am zweiten Prozess beteiligt. Es gibt bereits ein ganz ähnliches Verfahren, das schon seit über eineinhalb Jahren läuft, ebenfalls am Stuttgarter Landgericht, mit derzeit noch unklarem Ausgang. Der Kläger dort hat 1,6 Millionen Euro für zwei Wohnungen bezahlt und sie – wie viele Käufer – kreditfinanziert. Doch er bekommt die angestrebte Miete nicht und fordert ebenfalls eine hohe Summe zurück. Auch sein Argument: Gieag habe die Interessenten bewusst nicht über das Nachbarprojekt informiert. Das Unternehmen hat das stets zurückgewiesen. Was Verzögerungen und Mängel angehe, habe man sich mit diversen Betroffenen geeinigt, heißt es dort. Allerdings ist inzwischen mindestens ein halbes Dutzend weiterer Käufer anwaltlich vertreten und wartet mit eigenen Klagen nur, bis die ersten beiden Prozesse entschieden sind. Es drohen der Immobilienfirma im Fall einer Niederlage also Millionenforderungen – und dem Immobilienmarkt Musterurteile, die das Vorgehen in der Branche verändern könnten.

Das weiß auch der Richter im aktuellen Fall – und er kennt die aufwendige Beweisaufnahme mit vielen Zeugen im Parallelprozess. »Wenn Sie sich nicht einigen, kommen wir um dasselbe Vorgehen nicht herum«, gibt er den Parteien zu bedenken. Und schlägt eine Summe vor, die seiner Einschätzung nach angemessen sein dürfte. Er bestätigt, das Projekt sei »sehr blumig angepriesen worden«, aber fragt die Käufer auch, ob sie wirklich davon hätten ausgehen können, dass das Nachbargrundstück in dieser Innenstadtlage unbebaut bleiben würde.

Nach kurzer Beratung steht fest: Ein Vergleich kommt nicht zustande. Für die Kläger liegt die diskutierte Summe zu weit von dem entfernt, was in ihren Augen angemessen wäre. Und die Rechtsanwältin der Gieag formuliert deutlich: Bei einer Einigung »wäre der Kollateralschaden zu groß«. Sprich: Zig andere Käufer dürften dann ebenfalls Geld verlangen. Nun geht es in einigen Wochen mit einem Vororttermin weiter. Auch dieses Verfahren wird also dauern. Und die Spannung bleibt, welches Urteil in diesem so grundlegenden Immobilienfall fällt. (GEA)