Es mutet etwas absurd an, wenn Forstminister Peter Hauk über den Hitze-Sommer spricht, während landesweit vor Glatteis gewarnt wird. Aber die Rekordtemperaturen, die Dürre und auch die Schädlinge haben dem Wald so sehr zugesetzt, dass der Zustand des schwer kranken Patienten auch über das Jahr verteilt große Sorgen bereitet. Während das kühle und feuchte Wetter den stark angegriffenen Bäumen im vergangenen Jahr noch eine Verschnaufpause verschafft hat, macht der Waldzustandsbericht 2022 wenig Hoffnung.
»Die Ergebnisse sind besorgniserregend«, sagt der CDU-Minister am Montag. Fast die Hälfte der baden-württembergischen Waldfläche (46 Prozent) ist aus Sicht der Experten deutlich beschädigt. Das Niveau des Negativrekordjahres 2020 ist damit eingestellt.
Bei der Erhebung des Waldzustands wird die Kronenverlichtung, also der Verlust von Blättern oder Nadeln, als Maß für den Gesundheitszustand der Bäume aufgenommen. Dazu wurden im Juli und August auf mehr als 7000 Bäume untersucht, darunter Buchen, Eschen und Bergahorn, Fichten, Kiefern, Tanne und Douglasien.
Hauk hatte sich bereits im vergangenen Jahr keine großen Hoffnungen darauf gemacht, dass sich der Zustand der Wälder verbessern wird. »Wenn wir zwei oder drei weitere feuchte und kühlere Jahre hätten, wäre das der Fall«, hatte der Minister gesagt. Aber damit sei wegen des Klimawandels wohl nicht zu rechnen. »Der Wald wird auch in den nächsten Jahren und Jahrzehnten leiden«, hatte er gemahnt. »Das Schlimmste ist ja nicht überstanden, das Schlimmste kommt noch.«
Das könnte auch für das Risiko von Waldbränden in der bereits angegriffenen Natur gelten. »Die Sommer werden heißer, die Baumbestände sind inzwischen sichtbar geschädigt«, sagte Innenminister Thomas Strobl (CDU). »Das ist eine toxische Mischung. Die Lage wird ernster, angespannter. Auch bei uns.« Forst und Feuerwehr arbeiteten deshalb stärker zusammen, außerdem tausche sich Baden-Württemberg intensiver mit Ländern swie Griechenland aus, die seit vielen Jahren und unter weitaus extremeren Bedingungen mit Waldbränden zu kämpfen haben.
Die Verantwortung für den Zustand sieht Forstminister Hauk nicht bei der grün-schwarzen Koalition. »Die Folgen für den Wald von heute spiegeln die Fehler und Inkonsequenz beim Klimaschutz von vor 20 Jahren wieder«, sagte er. Es sei richtig, den Wald umgebaut und mit dem Kampf gegen den Klimawandel begonnen zu haben. »Die Wirkung eingeleiteter Veränderungen zeigt der Wald nicht von heute auf morgen, deshalb müssen wir den eingeschlagenen Kurs weiter konsequent umsetzen«, sagte er.
Mit dem Kurs ist Jerg Hilt, Geschäftsführer der Forstkammer Baden-Württemberg, zwar zufrieden. Klimastabile Baumarten müsse gepflanzt, heimisches Holz als Ersatz für klimaschädliche und fossile Rohstoffe genutzt werden. »Aber wir müssen das Tempo erhöhen«, sagte Hilt, dessen Kammer die privaten und kommunalen Waldbesitzer vertritt. Das Land wolle im nächsten Doppelhaushalt deutlich weniger Geld für den Wald bereitstellen. Aber: »Wir können uns nicht leisten, die nächsten zwei Jahre auf die Bremse zu treten«, sagte Hilt.
Bei den Nadelbäumen hat laut Zustandsbericht vor allem die Kiefer mit einem mittleren Nadelverlust von 33 Prozent gelitten, Fichte, Tanne und Lärche liegen bei rund 25 Prozent. Der Fichte setzen auch die Borkenkäfer zu, die wegen der warmen Temperaturen bis in mittlere Höhenlagen drei Generationen ausbilden und sich sprunghaft vermehren konnten. Die Douglasie kommt da - aber auch nur vergleichsweise - gut weg: Sie gilt als resistent gegen Trockenheit und verliert etwas mehr als jede fünfte Nadel (21 Prozent).
Bei den Laubbäumen setzt sich der eher noch junge und starke Bergahorn (18 Prozent Blattverlust) am besten durch. Anders die Esche, die vor allem wegen eines Pilzes rund 43 Prozent verliert. Beim häufigsten Laubbaum, der Buche, ist nur fast jedes zehnte Exemplar (neun Prozent) unbeschädigt, 58 Prozent dagegen gelten als deutlich geschädigt, bei den Eichen liegt der Anteil sogar bei 71 Prozent. »Das ist mehr als bei jeder anderen Baumart in Baden-Württemberg«, sagte Hauk.
Mit Blick auf die Zahlen schlägt der Landeswaldverband Alarm: »Bei solchen Wunden reicht kein Pflaster mehr, da muss eine umfangreiche Behandlung erfolgen«, sagte Geschäftsführerin Odile Bour. Die Waldstrategie drohe aber wegen des gekürzten Landeshaushalts in der Schublade zu verstauben. Es sei notwendig, Forstleute auszubilden, die den Umbau des Waldes begleiten können.
Vor dem »Anfang einer gefährlichen Entwicklung« warnt auch der Naturschutzbund Nabu. »Wenn es uns nicht gelingt, den Klimawandel zu bremsen, werden wir den Wald, wie wir ihn kennen und lieben, bald nicht wiedererkennen«, sagte sein Landesvorsitzender Johannes Enssle. Die Wälder seien die Lebensräume, an denen die dramatischen Folgen der Klimakrise am deutlichsten sichtbar würden. Waldbesitzer, Försterinnen und Förster müssten sich ebenso wie die Holzbranche als Botschafter für Energiewende und Klimaschutz engagieren.
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