STUTTGART. Stuttgart wählt mit Maske: Wenn am Sonntagabend eine neue Rathausspitze in der Landesmetropole bestimmt wird, erinnert nur wenig an eine normale Kommunalwahl. Unter Pandemiebedingungen mussten die Kandidaten bereits wochenlang um Stimmen kämpfen und auch bei der Wahl steht der Schutz an erster Stelle. Der Druck auf die Grünen ist groß: Sollten sie den OB-Posten in der Landeshauptstadt verlieren, könnte das als schlechtes Vorzeichen für die Landtagswahl im März 2021 interpretiert werden.
DIE KANDIDATEN: Insgesamt machen sich 14 Bewerberinnen und Kandidaten Hoffnungen auf das Rathaus, die einen mit mehr, die anderen mit weniger Chancen. Zum engeren Favoritenkreis gehören der Backnanger Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU), die langjährige Grünen-Bezirksvorsteherin von Stuttgart-Mitte, Veronika Kienzle, und Stuttgarts Stadtrat Hannes Rockenbauch vom Fraktionsbündnis SÖS/Linke. Auch der offizielle SPD-Kandidat Martin Körner und der als unabhängiger Bewerber antretende Sozialdemokrat Marian Schreier sind laut Umfragen beliebt. Die SPD-Mitgliedschaft des Bürgermeisters von Tengen ruht während des Wahlkampfes. Kurz vor der OB-Wahl in Stuttgart scheint das Rennen noch völlig offen. Ein zweiter Wahlgang ist mehr als wahrscheinlich.
DIE FAVORITEN: In den Umfragen liegen Kienzle und Nopper bislang Kopf an Kopf, gefolgt von Rockenbauch, Schreier und Körner. Stuttgart gilt als Stadt mit einer starken grünen Wählerschaft, im Gemeinderat stellen die Grünen die größte Fraktion. Das spricht für ihre Kandidatin Veronika Kienzle, die im Wahlkampf eher auf leisere Töne setzte und die erste Frau auf dem Chefsessel wäre. Sie will die Stadt klimaneutral und als Modellstadt für neue Mobilitätsformen gestalten. Zudem will sie Bürger in die Politik einbeziehen und bezahlbare Wohnungen schaffen. Kienzle ist ebenso verwurzelt in der Stadt wie CDU-Konkurrent Nopper, der in Backnang beliebt ist und den Rückenwind aus Berlin nutzen könnte. Seine Heimatstadt will er zum »leuchtenden Stern des deutschen Südens« machen. Auch verspricht Nopper eine leistungsfähige Stadtverwaltung, schnellere Planungsverfahren und mehr Mut zu Entscheidungen.
DIE THEMEN: Im Wahlkampf hat sich gezeigt, dass Stuttgarts neuer OB vor allem zwei Felder schnell und wirksam beackern muss: den Verkehr und das Wohnungsproblem. Die Metropole stöhnt unter zugestopften Straßen und Baustellen, es fehlen Parkplätze und die Luft ist schlecht. Außerdem müssten Zehntausende von Wohnungen her, weil jahrelang mehr Menschen in den und rund um den Talkessel gezogen sind. Weiterhin klafft die Baustelle des milliardenschweren Bahnhofsbau-Projekts Stuttgart 21 wie eine Wunde mitten in der Stadt, die Sanierung der Oper wird zum nächsten Großprojekt und die jüngsten Krawalle in der City lassen viele an der Sicherheitslage zweifeln. Auch mit der Corona-Pandemie und ihren vor allem wirtschaftlichen Folgen wird Stuttgarts neuer Rathauschef zu kämpfen haben.
DIE BEDINGUNGEN: Die Pandemie hinterlässt unübersehbar ihre Spuren. Corona-bedingt steht bereits fest: Die gewohnte öffentliche Präsentation der Ergebnisse entfällt ebenso wie die Wahlpartys der Parteien. Die Hochrechnungen und Resultate können ausschließlich per Livestream etwa über die Facebook-Seite der Stadt ( www.facebook.com/Stadt.Stuttgart) verfolgt werden. Auch in den Wahllokalen wird so einiges anders sein als sonst: Die Zahl wurde gegenüber der jüngsten Wahl reduziert, weil die Stadt davon ausgeht, dass der Anteil an Briefwählern gegenüber 2012 um bis zu 50 Prozent steigen wird. Ein Schutz über Mund und Nase ist im Wahllokal Pflicht und es dürfen nur so viele Menschen im Wahllokal sein, wie Wahlkabinen vorhanden sind.
DER AMTSINHABER: Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) hält sich heraus aus dem Rennen um seine Nachfolge. Rein persönliche Gründe führt er für seinen Rückzug aus der Politik ins Feld, aber als Oberbürgermeister hat er es oft auch nicht leicht gehabt. Kritiker meinen, der erfahrene Landes- und Bundespolitiker sei mit dem Amt nie ganz warm geworden, es habe an Präsenz gefehlt und an Entscheidungswillen. Nach Ende seiner achtjährigen Amtszeit hinterlässt Kuhn viele noch nicht abgeschlossene Projekte, darunter neben Wohnungsmangel und explodierenden Immobilien- und Mietpreisen auch das nach wie vor deutliche Feinstaub- und Stickoxid-Problem.
DER ZEITPLAN: Insgesamt können am Sonntag 450 000 wahlberechtigte Stuttgarterinnen und Stuttgarter über ihr neues Oberhaupt abstimmen. Sollte bei der Wahl am Sonntag keiner der Kandidaten mehr als die Hälfte der gültigen Stimmen erhalten, wird am 29. November erneut gewählt. Dann entscheidet die Mehrheit der gültigen Stimmen. (dpa)