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Viertklässler im Südwesten rutschen weiter ab

Lag es an Corona? Viele Viertklässler können schlecht zuhören und lesen. Das Problem im einstigen Bildungsmusterland Baden-Württemberg liegt aber tiefer, sagen Experten. Vor allem Kinder mit ausländischen Wurzeln brauchen dringend mehr Hilfe beim Deutschlernen.

Theresa Schopper
Theresa Schopper, Ministerin für Kultus, Jugend und Sport in Baden-Württemberg. Foto: Christoph Schmidt
Theresa Schopper, Ministerin für Kultus, Jugend und Sport in Baden-Württemberg.
Foto: Christoph Schmidt

Für den einstigen Musterschüler Baden-Württemberg ist die neue Studie zu den Leistungen der Viertklässler ein herber Rückschlag. Die Kinder haben zunehmende Probleme beim Lesen und Zuhören. Der Anteil der starken Schülerinnen und Schüler, die den Regelstandard in Deutsch und Mathematik schaffen oder übertreffen, ist gesunken. Fast jedes fünfte Kind schafft die Mindeststandards nicht, heißt es in der Studie des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB), die am Montag vorgestellt wurde. Das Land rutscht damit nach dem schmerzlichen Absturz bei der Leistungsstudie im Jahr 2016 dieses Mal noch weiter ab. In der Rangliste der Länder ist Baden-Württemberg weiter nur im Mittelfeld zu finden. Dagegen liegen Bayern und Sachsen - obwohl auch hier die Leistungen sinken - erneut fast überall an der Spitze.

Schopper will Sprachförderung in Kitas verbessern

Baden-Württembergs grüne Kultusministerin Theresa Schopper nannte die Ergebnisse »wenig überraschend und ernüchternd zugleich«. »Angesichts der Schulschließungen in der Corona-Pandemie war zu erwarten, dass die Schere weiter auseinandergeht und die Leistungen der Schüler weiter sinken«, sagte sie. Dennoch könne Corona nicht als einzige Erklärung für die Ergebnisse herhalten. Denn die Studie zeige eine »ungute Entwicklung, die sich bereits in den vorherigen Erhebungen angedeutet hat«. Die Ministerin verwies darauf, dass fast 50 Prozent der Grundschüler ausländische Wurzeln hätten - das sei unter den Flächenländern der höchste Wert. Sie kündigte an, die Sprachförderung schon in der Kita verbessern zu wollen. Die Opposition und die Bildungsgewerkschaft GEW sehen die Probleme als hausgemacht an, weil die grün-geführte Regierung die Grundschulen seit Jahren vernachlässige.

Rang 11 beim Zuhören, beim Lesen Platz 9

Beim Lesen liegen die Viertklässler aus Baden-Württemberg auf Rang 9, beim Zuhören sogar nur auf Platz 11. In beiden Bereichen erreichen nur 57 Prozent der Kinder die sogenannten Regelstandards, 20 Prozent schaffen die Mindeststandards nicht. Bei der Rechtschreibung liegt das Land immerhin auf dem 3. Platz. Aber auch hier hinken viele Kinder hinterher: Nur 47 Prozent packen den Regelstandard, 28 Prozent schaffen die Mindestanforderungen nicht. In Mathematik liegt das Land auf Rang 6 - knapp 20 Prozent der Mädchen und Jungen erreichen das Mindestlevel nicht. Schopper sagte, immerhin sei das Absinken der Leistungen etwas abgebremst und nicht so stark wie im Bundestrend. Die Studie zeigt aber auch, dass der Bildungserfolg im Land weiter stark vom sozialen Status der Eltern abhängt.

Schopper will vor allem Kinder aus Zuwandererfamilien stärker beim Deutschlernen helfen. Laut Studie liegt der Anteil der Haushalte, in denen nur Deutsch als Familiensprache gesprochen wird, im Südwesten bei 53,6 Prozent. Dieser Wert sei im Vergleich zur Studie im Jahr 2016 deutlich zurückgegangen. Die Ministerin sagte, das könne man nicht laufen lassen. Sonst hätten später nicht nur die Kinder ein Problem, sondern auch Baden-Württemberg als wirtschaftlich starkes Land brauche gut ausgebildete Fachkräfte. Sie zeigte sich dennoch überzeugt: »Der eingeschlagene Weg ist richtig.« Das Land hatte nach dem Absturz bei der Studie 2016 zwei wissenschaftliche Institute gegründet, die das Bildungswesen im Land unter die Lupe nehmen. Zudem gab es eine Reihe von Maßnahmen, um die Basiskompetenzen der Grundschüler in Deutsch und Mathe zu stärken.

Heftige Vorwürfe an die Adresse der Grünen

Der frühere SPD-Kultusminister Andreas Stoch beklagte, dass die Abhängigkeit des Bildungserfolgs von der Herkunft viel zu hoch sei. Es sei falsch, dass Lehrkräfte nebenbei für Integration und Sprachförderung sorgen sollten. »Das kann nicht gutgehen«, sagte der SPD-Fraktionschef. GEW-Landeschefin Monika Stein beklagte, nach elf Jahren grün-geführter Regierung liege das Land beim Verhältnis Lehrkraft pro Schüler bundesweit auf dem letzten Platz. Die GEW forderte, die Schuldenbremse auszusetzen. »Investitionen in Bildung bringen die besten Zinsen.« Die FDP verwies darauf, dass das Land 2011 noch Spitzenplätze belegt habe. »Diese Regierung verspielt die Zukunft dieses Landes, indem sie peu à peu unser Bildungswesen systematisch ruiniert«, sagte Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke.

Tests fanden nach Corona-Lockdown statt

Baden-Württemberg ist mit seinen Problemen nicht allein: Bundesweit sind die Viertklässler beim Lesen, Schreiben und in Mathe im Vergleich zu den letzten Studien nochmal zurückgefallen. Schon nach der Studie von 2016 lösten die Ergebnisse der IQB-Studie im Südwesten einen wahren Schock aus. Das ehemalige Bildungsmusterland Baden-Württemberg war damals von einem Spitzenplatz ins Mittelfeld abgerutscht. Die damalige Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) attestierte dem Südwesten ein »durchgehendes Qualitätsproblem«.

Grundlage der IQB-Studie waren Tests an fast 1500 Schulen in ganz Deutschland mit etwa 27.000 Viertklässlern zwischen April und August 2021. In Baden-Württemberg nahmen etwa 90 Schulen und 1600 Kinder aus der damaligen 4. Klasse teil. Zum Zeitpunkt der Tests hatten die Schülerinnen und Schüler ein Jahr Pandemie und somit auch Monate des Home-Schoolings hinter sich.

© dpa-infocom, dpa:221016-99-148548/4