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Vier Männer wegen Mordes vor Gericht

Sie sollen ihn in einen Hinterhalt gelockt, verprügelt und brutal auf ihn eingestochen haben: Ein Mordprozess in Stuttgart führt ins Rockermilieu. Das stellt auch das Gericht vor Herausforderungen.

Prozess gegen vier Männer wegen Mordes
Vier Männer stehen vor Prozessauftakt in einem Gerichtssaal des Landgerichts Stuttgart. Foto: Christian Johner
Vier Männer stehen vor Prozessauftakt in einem Gerichtssaal des Landgerichts Stuttgart.
Foto: Christian Johner

Es sind tumultartige Szenen, die sich da am Donnerstag abspielen im Saal 1 des Stuttgarter Landgerichts: Als die Angeklagten von der Polizei hereingeführt werden, springt plötzlich eine blonde Frau in der zweiten Reihe der Zuschauerplätze auf, schreit immer wieder »Mörder!«, »Mörder!«, ihr Gesicht ist vom Hass verzehrt. Mehrere Umstehende versuchen, sie in ihren Stuhl zurückzudrücken, halten ihr den Mund zu, reden auf sie ein. Die Ordnungskräfte und Polizisten - es sind viele im Saal - blicken nervös auf das Geschehen. Schließlich sackt die Frau in sich zusammen und verliert das Bewusstsein. Sie wird hinausgetragen. Man hört vor dem Saal ihr lautes Wehklagen, als sie kurz darauf wieder zu sich kommt.

Die Frau ist die Mutter eines 22-jährigen Mannes, der auf einem Platz in Stuttgart im vergangenen Oktober getötet wurde. Eine Tat mitten in der Stadt am helllichten Tag. Wie viele Täter beteiligt waren, lässt sich nur schwer rekonstruieren. Einer der Angreifer soll unmittelbar nach der Attacke in die Türkei geflohen sein. Vor Gericht stehen nun vier Männer. Sie sind kräftig gebaut, zwischen 19 und 24 Jahre alt, sie haben die deutsche, teils auch die türkische oder griechische Staatsbürgerschaft. Der Vorwurf: gemeinschaftlicher, heimtückischer Mord. Auch eine 26-jährige Deutsche steht bei dem Prozess vor Gericht - sie soll das Fluchtauto gefahren haben.

In dem Prozess geht es um eine Liebesbeziehung, aber offenbar auch um das Rockermilieu. Einige kräftige junge Männer mit Tattoos, dunklen Haaren und Bärten sitzen als Zuschauer im Gerichtssaal. Manche kamen mit T-Shirts mit dem schwarz-weißen Konterfei des Opfers zum Gericht, mussten diese aber ablegen, um in den Saal zu gelangen. Der Prozess findet unter hohen Sicherheitsvorkehrungen statt, es geht vor dem Saal zu wie am Flughafen, es gibt eine Sicherheitsschleuse, jeder Zuschauer wird durchsucht, alle Gegenstände müssen abgegeben werden.

Für die Tat gibt es laut Anklage zwei Motive: Einmal hatte einer der Angreifer ein Problem damit, dass der 22-Jährige mit seiner Schwester eine Beziehung führte. Und zweitens wollte sich das Opfer laut Staatsanwaltschaft von den sogenannten Esslinger Kurden zurückziehen. Die Gruppierung soll aus der rockerähnlichen Straßengang Red Legion hervorgegangen sein.

In Stuttgart und den Landkreisen Esslingen und Ludwigsburg kam es früher immer wieder zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen den Red Legion und anderen Rocker- und rockerähnlichen Gruppen. Die Gang rekrutierte sich aus kurdischstämmigen jungen Männern. Nachdem Ende 2012 in Esslingen bei Auseinandersetzungen ein junger Mann stirbt, wird der Verein 2013 verboten. Nun geht es um die Esslinger Kurden. Und wieder ist ein junger Mann tot.

Einer der Angeklagten, ein 24-jähriger Stuttgarter, verabredet sich laut Anklageschrift mit dem Opfer am 10. Oktober zu einem Treffen. Der 22-Jährige ahnt nicht, dass er in eine Falle gelockt wird. »Sie haben beschlossen, ihm eine körperliche Abreibung zu verpassen«, sagt der Staatsanwalt über die Täter. Die 26-jährige Mitangeklagte fährt ihn zum Treffpunkt im Stadtteil Feuerbach, sie weiß demnach, dass eine Auseinandersetzung bevorsteht. Sie wird beim Wagen warten, mit dem die Täter sich später aus dem Staub machen.

Der 22-Jährige stolpert den Schilderungen zufolge in einen üblen Hinterhalt. »Er rechnete nicht mit einem Angriff auf sein Leben, war arg und wehrlos«, sagt der Staatsanwalt. Der 24-Jährige geht zunächst allein auf das Opfer zu, umarmt ihn sogar zur Begrüßung. Dann springen plötzlich die anderen Täter hervor. Der 24-Jährige hält ihn fest, während die anderen mit Schlag- und Stichwerkzeugen seine Brust und seinen Kopf malträtieren. Ein Messer durchbohrt die Herzkammer des jungen Mannes. Als sein Freund eingreift, gelingt dem 22-Jährigen die Flucht. Er kann sich aber nur noch ein paar Meter schleppen, bevor er zusammenbricht. Kurz darauf stirbt er im Krankenhaus, die Ärzte können nichts mehr für ihn tun. Sein Freund wird ebenfalls verletzt, kommt aber mit Platzwunden davon. Er ist nun Nebenkläger.

Die Schwester des Opfers erzählt vor dem Saal, ihr Bruder habe mit dem 24-Jährigen wenige Sekunden vor der Tat noch eine Zigarette geraucht. Dann habe der Täter seinen Komplizen ein Zeichen gegeben und sie hätten ihren Bruder mit Schlagstöcken und Baseballschlägern umzingelt. Der Staatsanwaltschaft sagt, die Täter hätten die tödliche Verletzung des jungen Mannes billigend in Kauf genommen. Ob die Angeklagten sich zu der Tat äußern, ist offen. Der Prozess wird am 22. Juni fortgesetzt.

© dpa-infocom, dpa:220602-99-520683/3