Mehrere Verbände sind mit der grün-schwarzen Landesregierung wegen ihrer Migrationspolitik hart ins Gericht gegangen. Aus Sicht der Verbände seien nicht aus der Ukraine kommende Flüchtlinge in Baden-Württemberg benachteiligt, sagte Feray Şahin von dem Paritätischen Baden-Württemberg am Donnerstag in Stuttgart. »Wenn die Ungleichbehandlung der Flüchtlinge weiter andauert in unserem Land, droht der soziale Frieden zu brechen. Und das muss unbedingt verhindert werden.«
Das baden-württembergische Migrationsministerium wehrte sich gegen die Kritik. »Unabhängig von den Zugängen aus der Ukraine verzeichnen wir täglich hohe Zugänge aus Drittländern. Auch um diese Menschen wollen und müssen wir uns kümmern«, sagte Migrationsstaatssekretär Siegfried Lorek (CDU).
Doch die Verbände zeigten sich enttäuscht von der Landesregierung, die seit einem Jahr im Amt ist. Dabei sei man vom Koalitionsvertrag damals positiv überrascht gewesen, sagte Seán McGinley vom Flüchtlingsrat Baden-Württemberg. »Ein Jahr später müssen wir feststellen, dass bei wesentlichen Punkten ein «Weiter so» herrscht.«
Das Land tritt laut McGinley beispielsweise beim Thema Bleiberecht auf der Stelle. Es wirke so, als würden die Behörden alle gesetzlichen Spielräume konsequent nutzen, um Abschiebungen zu ermöglichen. McGinley hätte gerne, dass die Bleiberechte in Baden-Württemberg ausgeweitet werden.
Man habe sich im Koalitionsvertrag dazu bekannt, Menschen in Baden-Württemberg mit einer bezahlten Arbeit eine Bleibeperspektive zu bieten, teilte ein Sprecher des Migrationsministeriums mit. Im vergangenen Jahr habe das Ministerium mehr als 10 000 Menschen mit einer Beschäftigungserlaubnis angeschrieben und über bestehende Bleibemöglichkeiten informiert. »Damit wollen wir auch dem Interesse unserer Wirtschaft Rechnung tragen, die auf verlässliche Bleiberechte ihrer bislang geduldeten Mitarbeiter setzt.«
Ulrich Bamann von der Seebrücke Baden-Württemberg forderte von der Landesregierung, ein Landesaufnahmeprogramm für Geflüchtete an den europäischen Außengrenzen umzusetzen. Dass weitaus mehr Tempo, unbürokratische Hilfe sowie Aufnahme- und Bleibeperspektiven möglich seien, hätten die vergangenen Wochen gezeigt. Das Migrationsministerium entgegnete, dass derzeit das Geld fehle, um das Vorhaben umzusetzen.
Helene Khuen-Belasi vom Landesverband der Kommunalen Migrantenvertretungen pochte auf ein Sondervermögen für die Bildungspolitik, denn mehr als ein Drittel aller Schülerinnen und Schüler im Südwesten hätten einen Migrationshintergrund. Die Sprachförderung müsse verbessert werden. Außerdem sollen die Herkunftssprachen als reguläres Fach mit versetzungsrelevanten Noten und Abschlussprüfungen eingeführt werden, um diesen Schülerinnen und Schülern bessere Bildungsabschlüsse zu ermöglichen.
Kritik erntete die Landesregierung auch beim Thema Gesundheitsversorgung. Die müsse für alle Menschen in Baden-Württemberg unabhängig vom Aufenthaltsstatus gewährleistet sein, sagte Feray Şahin. Der Koalitionsvertrag sehe vor, Menschen ohne Krankenversicherung unbürokratisch und schnellstmöglich versorgen zu können. »Passiert ist in dieser Hinsicht bisher nichts.«
Auch ein Landesantidiskriminierungsgesetz sei im Koalitionsvertrag angekündigt worden. »Bis zum heutigen Zeitpunkt liegt kein Entwurf des Gesetzes vor und der Öffentlichkeit sind auch keine Maßnahmen zur Umsetzung bekannt«, sagte Şahin. Solch ein Gesetz sei umso wichtiger, weil die Flüchtlinge nach Ansicht Şahins aktuell ungleich behandelt werden.
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